Emotionen, Politik und Sprache.
Einige Bemerkungen und Beispiele

Josef Klein

 

1. Emotionen – ein spätes Thema

Weder die Sprach- noch die Politikwissenschaft haben sich traditionell nennenswert mit der emotionalen Dimension ihrer Gegenstandsbereiche beschäftigt. In der Linguistik begann sich das mit Arbeiten von Jäger (1988), Johnson-Laird (1989) und Fiehler (1990) vor ca. drei Jahrzehnten langsam zu ändern. Für die Politikwissenschaft waren Emotionen noch länger kein Thema. Es ging um Rationalität, Normativität und Interessen. Dass diese vielfach mit Emotionen eng verknüpft sein könnten, hat man gern ausgeblendet. In Zeiten von Rechtspopulismus und sog. ›sozialen Netzwerken‹, wo Emotionen zweifelsfrei eine dominierende Rolle spielen, wird das zunehmend anders. 2014 stellte die Deutsche Gesellschaft für Politikwissenschaft ihre Jahrestagung unter das Thema ›Emotionen und Politik‹. In einem daraus entstandenen, von Korte (2015) herausgegebenen Sammelband wird allerdings deutlich: Man kann das Thema momentan nur fragmentarisch behandeln und ist von einer Theorie der Emotionalität in der Politik weit entfernt.

Das hat damit zu tun, dass der wissenschaftliche Umgang mit Emotionen nicht einfach ist. Schon die Definition von ›Emotion‹ ist interdisziplinär umstritten. Mit Messen und mit Experimenten kommt man nicht weit, vor allem was emotionale Prozesse im Kontext sozialer und politischer Dynamik betrifft.

Lange wurden Emotion und Kognition als weit voneinander entfernte Areale des Psychischen behandelt. Mittlerweile geht man von einer engeren Verbindung aus. Emotionen sind immer auf etwas gerichtet und unterwerfen es einer Bewertung. Das bedingt Intentionalität und Ausdrückbarkeit und mit der verbalen Ausdrückbarkeit auch Bewusstheit. Damit ist die Verknüpfung mit Kognition gegeben.

Emotionen haben motivierende Kraft für Handeln oder Nicht-Handeln. Das gilt für politische Akteure ebenso wie für die Adressaten ihrer Botschaften. Theorie und Praxis politischer Kommunikation gehen dabei von zwei Prämissen aus:

  1. Emotionen sind kein ausschließlich individuelles Phänomen, sondern können gruppenspezifisch ausgeprägt sein.
  2. Kollektiv ausgeprägte Emotionen lassen sich – u.a. mit rhetorischen Mitteln – beeinflussen, wenn auch nicht beliebig.

Unser Wissen über Emotionen ist eine Mischung aus Selbsterfahrung, aus der menschlichen Fähigkeit zu Empathie, aus Erfahrungen mit der partiellen Wahrnehmbarkeit mancher Emotionen über körperliche Signale. Wissen über politisch breit wirksame Emotionen lässt sich aus Umfragen gewinnen, bleibt aber unter emotionstheoretischen Aspekten ziemlich ungenau, etwa wenn nach der eigenen Zufriedenheit, nach Sympathiewerten für Politiker/-innen oder nach Ängsten und Sorgen über bestimmte Sachverhalte gefragt wird.

Das differenzierteste Wissen über Emotionen ist in der Sprache und ihrem Gefühls- und Emotionswortschatz kulturell sedimentiert (vgl. Schwarz-Friesel 2013).

 

2. Eine Taxonomie der politisch relevanten Emotionen bzw. Emotionsbegriffe

In ›Übersicht Emotionen‹ sind die politisch wichtigsten Emotionsbegriffe zusammengestellt. Gegliedert ist diese Taxonomie nach den in der Emotionspsychologie gängigen Parametern (vgl. Klein 2019, 48f.):

  • Wertigkeit: positiv/negativ,
  • Bezug: Situationsbezug1/Selbstbezug/Bezug auf Andere,
  • Stärkegrad: stark/moderat/schwach.

Tab. 1: Übersicht Emotionen, Legende: Manche Emotionsbezeichnungen sind hinsichtlich des Parameters ›Stärke‹ unbestimmt. In der Übersicht sind sie unter ›moderat‹ eingeordnet, z.B. Empathie. Pfeile signalisieren, dass sie stark oder schwach ausgeprägt sein können: Der Linkspfeil (<) verweist auf starke und der Rechtspfeil (>) auf schwache Ausprägung.

Emotionen sind sowohl bei den Emittenten politischer Botschaften als auch bei ihren Adressaten wirksam. Im Hinblick auf politische Kommunikation interessiert vor allem Persuasionserfolg und damit weniger, in welchen Gefühlslagen sich die Emittenten befinden, sondern in welcher Weise emotionale Wirksamkeit erzeugt wird.

 

3. Sprachliche Hauptformen emotionaler Wirksamkeitserzeugung

Unter dem Aspekt sprachlicher Explizitheit reicht das Spektrum der Versuche emotionale Wirksamkeit zu erzeugen von unmittelbarer, performativer Gefühlsexpression über die Verwendung von Begriffen, in denen die emotionale Bedeutungsdimension erkennbar ist, bis zu emotional (scheinbar) neutralen Formen der ›Fakten‹-Benennung, die gleichwohl emotionale Wirksamkeit entfalten. Das soll nun an Beispielen erläutert werden.

3.1 Performative Gefühlsexpression

In diesem Typus sprachlicher Emotionskundgabe wird die jeweilige Emotion explizit benannt und – dem Anspruch nach – als expressiver Sprechakt performiert. Beispiele:

Anlässlich einer Gedenkfeier zum NSU-Anschlag in Köln bekennt Bundesjustizminister Maas (SPD): »Ich schäme mich für den deutschen Staat.« (SPIEGEL online 9.6.2014)

Eine Variante dieses Typs ist der repräsentativ für eine Gruppe zum Ausdruck gebrachte emotionale Zustand. So formulierte Berlins Regierender Bürgermeister Momper (SPD) am 10.11. 1989, dem Tag nach Öffnung der Berliner Mauer: »Wir Deutschen sind jetzt das glücklichste Volk auf der Welt« (https://de.wikiquote.org/wiki/Walter_Momper).

3.2 Begriffe mit emotionaler Bedeutungsdimension

In politisch relevanten Begriffen kristallisieren sich rationaler Sachbezug, Emotion, Normativität und Assoziationen (vgl. Hermanns 1995).  Anders als im Typus ´performative Gefühlsexpression` pflegt die jeweils zum Ausdruck gebrachte Emotion hier nicht explizit benannt zu werden, auch wenn die Implikation starker Emotionshaltigkeit offensichtlich ist.  Am Beispiel des Begriffs ›Terror‹ soll das verdeutlicht werden.

Bei sprachlichen Zeichen gilt es zunächst zu unterscheiden zwischen

  1. dem Ausdruck, d.h. der lautlichen und/oder orthographischen Gestalt des Wortes, im Falle des Fremdworts ›Terror‹ die ursprüngliche lateinische Silben- und Lautstruktur;
  2. der Bedeutung, in der Allgemeinsprache auch als ›Sinn‹ bezeichnet;
  3. dem Referenzobjekt, das ist (vor allem bei Substantiven) der – meist außersprachliche – ›gemeinte‹ Sachverhalt, in diesem Falle ein als ›Terror‹ bezeichnetes Geschehen.

In unserem Zusammenhang ist vor allem die Bedeutung relevant. Sie entfaltet sich in vier Dimensionen:

  • deskriptive Bedeutungsdimension: Diese ist weitgehend identisch mit dem Vorstellungsinhalt, der in Wörterbüchern als Bedeutung angegeben wird, so im Duden-Universalwörterbuch (2012) zu ›Terror‹: »(systematische) Verbreitung von Angst und Schrecken durch Gewaltaktionen (besonders zur Erreichung politischer Ziele)«.
  • deontische Bedeutungsdimension: Damit ist die normative Bewertung, die ein Begriff beinhaltet, gemeint. Negativbegriffe wie ›Terror‹ auf der einen Seite oder Hochwertbegriffe wie ›Freiheit‹ und ›Gerechtigkeit‹ auf der anderen Seite implizieren ein überindividuelles Sollen, rufen geradezu eine Pflicht auf, einen für gut befundenen Zustand anzustreben oder zu verteidigen und einen für schlecht gehaltenen wie ›Terror‹ abzulehnen und/oder zu bekämpfen.
  • emotionale Bedeutungsdimension (hier im Fokus): Politische Begriffe sind vielfach emotional aufgeladen. Wer von ›Terror‹ spricht, bringt damit zumindest Abscheu zum Ausdruck, u.U. auch Angst, Zorn oder ähnliche negative Emotionen.
  • Konnotationen: Das sind verbreitete Assoziationen, die mit dem Begriff überindividuell verknüpft werden, im Falle von ›Terror‹ Assoziationen/Erinnerungen z.B. an RAF, an Nine-Eleven, an Breitscheidplatz, Christchurch o.Ä.

Die Bedeutungsdimensionen stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern bauen zumindest partiell aufeinander auf: Emotionale Bedeutungselemente motivieren vielfach die deontische Bedeutung. So sind es Abscheu, Angst oder Zorn als kollektiv verbreitete Negativ-Emotionen, auf denen die extrem negative normative Wertigkeit des Begriffs ›Terror‹ beruht.

Vor allem Normbegriffe sind vielfach emotional grundiert. Allerdings gilt nicht immer ein Eins-zu Eins-Verhältnis zwischen Emotion und Norm. So lässt sich der Normbegriff ›Soziale Gerechtigkeit‹ durch ein breites Spektrum von Emotionen motivieren: Das reicht von Liebe – so die Moralphilosophin Martha Nussbaum (2013) – über Nächstenliebe im christlichen Sinne und Mitgefühl als altruistische Emotionen bis zu eigengruppen-egoistischen Emotionen wie Empörung über Benachteiligung der eigenen Gruppe oder – wie auch immer begründetem – Neid auf Andere.

Hier liegt möglicherweise einer der Gründe für die Abwärtsentwicklung der Sozialdemokratie. Die emotionale Grundlage der sozialdemokratischen Forderung nach ›Sozialer Gerechtigkeit‹ waren beim Gros ihrer Anhängerschaft über mehr als ein Jahrhundert Verbitterung, Empörung oder zumindest Unmut über die eigene – nicht nur ökonomische – Benachteiligung und Unterprivilegierung als Arbeiter bzw. Arbeitnehmer. Wo die emotionale Motivation des sozialdemokratischen Rufs nach ›Sozialer Gerechtigkeit‹ jedoch mehr und mehr altruistisch überlagert wird durch Empathie mit und Sorge um diverse, nicht zur eigenen Formation zählende Gruppen, erkennen erhebliche Teile der traditionellen SPD-Anhängerschaft nicht mehr den primär gruppenegoistisch motivierten Begriff der ›Sozialen Gerechtigkeit‹ wieder, mit dem sie sich emotional verbunden fühlen bzw. fühlten.

3.3. ›Fakten‹-Darstellung

Nicht selten setzen Emittenten auf die Wirksamkeit ›unterkühlter Rhetorik‹. Sie thematisieren etwas, von dem sie annehmen, dass es von sich aus starke Emotionen auszulösen vermag, etwa wenn in ostentativer ›Sachlichkeit‹ im Stil von Polizeimeldungen über eine Häufung von Gewalttaten berichtet wird, die von Angehörigen einer missliebigen Gruppe begangen wurden, so bspw. der Fraktionsvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, in einer Bundestagssitzung:

Sehen wir näher hin! Sonntag in Köthen: Zwei Afghanen schlagen einen Deutschen zusammen. Der Mann stirbt. – Samstag in Dortmund: Drei Männer, der Täterbeschreibung zufolge vermutlich Nordafrikaner, stechen einen Deutschen nieder. – Samstag in Mainz: Zwei Araber greifen einen Somalier mit Messern an und rauben ihn aus. – Samstag in Wiesbaden: Mehrere männliche Personen, die als dunkelhäutig beschrieben werden, belästigen junge Frauen. – Samstag in Fulda: Drei Schläger, der Beschreibung zufolge Südländer, verfolgen einen 52-Jährigen nach einem Discobesuch und schlagen ihn bewusstlos. – Donnerstag in Friedberg: 16-jähriger Syrer sticht am Bahnhof auf einen 18-jährigen Landsmann ein. – Meine Damen und Herren, ich breche hier ab (Deutscher Bundestag 2018, 5036 A).

Gaulands auch prosodisch emotionslose Präsentation zielt auf Stärkung von Glaubwürdigkeit aufgrund des Images von Sachlichkeit und der Autorität von Polizeimeldungen, um eine zweifache emotionale Wirkung zu mobilisieren: (1) Angst, Misstrauen und/oder Hass gegenüber arabischen, afghanischen und afrikanischen Migranten, (2) Empörung über Regierung und ›Altparteien‹, die die skizzierten Verhältnisse angeblich zu verantworten haben.

Hinter dem Objektivitätsanspruch solcher Darstellungen sollen ihre Perspektivenabhängigkeit und Selektivität in Vergessenheit geraten und Unwahrheiten gegebenenfalls verborgen werden. Die angeblichen ›Fakten‹ kommen als Beweismittel daher, d.h. mit der Prätention argumentativer Rationalität zur Stützung politischer Positionen. Dass dieser kognitive Prozess über die Mobilisierung von Emotionen läuft, wird in der rationalistischen Tradition gängiger Argumentationstheorien gern ausgeblendet.

Diese politische Kommunikationsstrategie wird sowohl zur Idyllisierung politischer Verhältnisse, z.B. im Rahmen von ›Wohlfühl-Kampagnen‹ (s.u.), als auch zur Verteufelung von Gegnern verwendet. Wenn politische Tiraden Adressaten über die eigene Anhängerschaft hinaus oder bislang politisch Uninteressierte überzeugen sollen, scheint diese Strategie besonders erfolgreich zu sein. Dafür sprechen spektakuläre Beispiele, deren historisch bekanntestes die sog. ›Kranzrede‹ des Demosthenes im antiken Athen ist: Im Wechsel mit der Beschwörung höchster Werte und mit Einsprengseln quasi-dialogischer Publikumszuwendung werden ‹Fakten›-Mengen vorgebracht, die in der Entscheidungssituation des Volksgerichts nicht mehr überprüfbar sind, so dass es dem Redner gelingt, sich aus scheinbar aussichtsloser Lage persuasiv zu befreien und die Stimmung so zu drehen, dass der siegesgewisse Gegner Aischines sich gezwungen sah, Athen zu verlassen (vgl. Klein 2003, 1471-1473).

Ein aktuelles Beispiel lieferte im Mai 2019 der YouTuber Rezo in einer 55-Minuten-Video-Präsentation »Die Zerstörung der CDU« ab (https://www.youtube.com/watch?v=4Y1lZQsyuSQ). Es ist die gleiche rhetorische Strategie erkennbar: Es wechseln, verteilt über den Auftritt,

  • Daten, die mit Wissenschafts- und Objektivitätsanspruch in ›sachlicher‹ Form präsentiert werden und als solche – scheinbar ohne wertendes sprachliches Zutun – Empörung zu provozieren geeignet sind,
  • als unstreitig prätendierte Werte, Normen und Ziele, die durch die (entsprechend selektierten) ›Fakten‹ (angeblich) aufs schwerste verletzt werden,
  • formatgerechte pseudo-dialogische Modi der Zuwendung zum Publikum und der Unterstellung von Einvernehmlichkeit mit »Euch« als Ingroup.

 

4. Emotion und Kampagne

Politische Kampagnen sind Höhepunkte emotionsbezogener Kommunikationsplanung und Performance. Dabei können sehr unterschiedliche, ja gegensätzliche Emotionen im Zentrum stehen. Das soll hier am Beispiel zweier erfolgreichen Wahlkampagnen auf nationaler Ebene (Deutschland, USA) skizziert werden (vgl. Klein 2019, 158-169).

Im Hinblick auf politische Kommunikation wird von ›emotionalisieren‹ vor allem dann gesprochen, wenn starke Emotionen wie Begeisterung oder Empörung mobilisiert werden. Aus der Taxonomie wird allerdings deutlich, dass es auch moderate und schwache, d.h. weniger erregende Emotionen gibt. Auch sie werden strategisch genutzt. Ein Beispiel bildet die sog. ›Wohlfühlkampagne‹ der Union vor der Bundestagswahl 2013. Darin wurde systematisch und konsequent ausschließlich auf moderate Emotionen abgestellt. Das Ergebnis: 41,5% für CDU/CSU bei hoher Wahlbeteiligung, das beste Wahlergebnis überhaupt bei einer Bundestagswahl seit 1990.

Die Kampagnenakteure gingen dabei, gestützt durch demoskopische Umfragen, von einem hohen Maß an Zufriedenheit eines sehr großen Teils der Bevölkerung mit der eigenen – insbesondere wirtschaftlichen – Lebenssituation aus. Die CDU stellte mit Angela Merkel die Kanzlerin und legte die Kampagne daher als führende Regierungspartei an. Die Zustimmungs- und Sympathiewerte für Merkel waren hoch. Sie sind Indikatoren für Vertrauen als vielleicht politisch wichtigste Emotion. Sie lagen weit über denen des Kanzlerkandidaten der SPD, Peer Steinbrück. Bei dieser Ausgangssituation setzte die Union in ihrer Kampagne konsequent auf die Dominanz moderater positiver Emotionen. Thematisch wurde die Fortsetzung des bisherigen Kurses in Aussicht gestellt. Diesen Kurs propagierte man nicht nur als erfolgreiche Politik der Regierung, sondern modellierte das Erreichte als Gemeinschaftsleistung von Volk, Bundeskanzlerin Merkel und CDU/CSU. Das zielte auf die Erzeugung eines übergreifenden Gemeinschaftsgefühls.

Stilistisch herrscht eine eher blasse Werbesprache, allerdings mit durchdachter politisch-semantischer Struktur. Drei Begriffsdimensionen werden profiliert: Stärke, Leistung und Gemeinsamkeit/ Zusammenhalt. Über die Wahlkampftexte ergießt sich eine Fülle entsprechender Vokabeln.

Strategischer Hintergrund für diese Framing-Priorität ist eine Art handlungslogisches Modell und damit die kognitive Seite der Kampagne: Das Erreichen eines wünschenswerten Zustands (Stärke) ist an zwei notwendige Bedingungen gebunden: (1) Leistung, und da die Leistung von einer Großgruppe erbracht wird: (2) Gemeinsamkeit/Zusammenhalt. Sprachlich werden die drei Dimensionen eng verzahnt. Am kompaktesten geschieht das im Hauptslogan, dem sog. Claim:

»Gemeinsam erfolgreich«

Der Claim und seine Varianten tauchen an Kernstellen immer wieder auf. So macht Merkel im Schluss-Statement des TV-Duells die Verzahnung von Emotion (Gemeinschaftsgefühl) und Ratio (Erfolg als Ziel) explizit: „Wir können das nur gemeinsam schaffen, erfolgreich zu sein“ (TV Duell Merkel – Steinbrück 2013).

Die Adressierung des Gemeinschaftsgefühls bleibt auf moderatem Intensitätsniveau. Wäre dieses Gefühl als starke Emotion zum Ausdruck gebracht worden, hätte die Gefahr nationalistischer Überheblichkeit gedroht. Präsentation und Gestus der Kanzlerin zielen nicht auf die Erzeugung von Enthusiasmus, sondern auf Vertrauen und Sympathie, ebenfalls moderate Emotionen. Moderat ist auch der emotionale Umgang mit dem politischen Gegner. Weder lässt sich die Partei programmatisch noch die Kanzlerin persönlich zur Konfrontation provozieren. Typisch ist Merkels trocken abwiegelnde Antwort auf eine Interview-Frage kurz vor der Wahl (https://www.faz.net):

FAZ: Hat es Sie erbost, dass der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, Ihnen im Zusammenhang mit der Datensicherheit eine Verletzung Ihres Amtseids vorgeworfen hat?‹

Merkel: ›Nein. Das ist Opposition.‹

An anderen Stellen betont sie, wenn sie auf den Kanzlerkandidaten der SPD angesprochen wird, wie angenehm die Zusammenarbeit mit ihm als Finanzminister gewesen sei.

Die emotionale Wirksamkeit politischer Botschaften ist in hohem Maße von emotionalen Befindlichkeiten in der Wählerschaft abhängig. Bei der Bundestagswahl 2017 ist die Union eine ganz ähnliche Strategie wie 2013 gefahren, doch ohne vergleichbaren Erfolg. Nach der ›Flüchtlingskrise‹ mit der Folge einer harten Konfrontation zwischen CDU und CSU und bei aufgeheizter Stimmung in erheblichen Teilen der Gesellschaft hatte sich die emotionale Ausgangslage geändert.

Nicht nur, aber vor allem auch unter emotionalem Aspekt stellt die Kampagne des republikanischen Kandidaten Donald Trump im Jahr 2016 um die US-Präsidentschaft ein Gegenbeispiel zum skizzierten CDU-Wahlkampf dar. Der Schwerpunkt liegt bei Trump auf starken negativen Emotionen. In Kampagnen ist weniger die einzelne Emotion von vorrangigem strategischem Interesse, sondern das Zusammenspiel selbst-bezogener, situations-bezogener und auf Andere bezogener Emotionen in der angepeilten Wählerschaft. In der Kernwählerschaft Trumps handelt es sich um ein Emotionscluster bestehend aus Minderwertigkeitsgefühlen sich benachteiligt fühlender Gruppen in Kombination mit deren Verbitterung über herrschende Zustände und Zorn auf die dafür angeblich Verantwortlichen. Die Kampagne, gekennzeichnet durch betont aggressive Auftritte des Kandidaten, durch extreme Schwarzmalerei der Lage Amerikas, insbesondere der weißen Unter- und Mittelschicht, und durch Skandalisierung der Konkurrentin Hillary Clinton (unterstützt durch teils verschwörungstheoretische Horror- und Falschmeldungen im Internet) zielte darauf, das identifizierte Ausgangscluster auszubauen und zu transformieren: Verbitterung über die Zustände zu ergänzen um Angst, insbesondere vor Migranten, den Zorn über Verantwortliche zum Hass zu steigern und auf die Gegenkandidatin Clinton zu konzentrieren und gleichzeitig den emotionalen Negativkomplex zu überformen durch positive Emotionen, die der Kandidat eng mit sich selbst verknüpfte: statt sozial und/oder kulturell bedingter Minderwertigkeitsgefühle ein neuer Stolz auf ›America‹ (»America first«, »Make America great again«), als Ausweg aus der Angst die Hoffnung auf Schutz vor dem Fremden durch Zölle, restriktive Einwanderung und eine ›Mauer zu Mexiko‹ sowie neben dem Hass auf Eliten im Allgemeinen und Clinton im Besonderen Vertrauen und Enthusiasmus für den Heilsbringer Trump.

 

5. Twitter als Schwungrad politischer Emotionen

Mittlerweile ist Twitter zum wichtigsten Internetformat in der politischen Kommunikation aufgestiegen. Da kann man gleich bei Trump bleiben. Er hat ein neues Paradigma politischen Kommunizierens eingeführt: Staatskommunikation via Twitter in der Außen- wie in der Innenpolitik. Schon eine Woche nach Amtsantritt wich Trump spektakulär von allen Regeln diplomatischen Verkehrs ab, indem er ein vereinbartes Treffen mit dem mexikanischen Präsidenten Enrique Nieto per Twitter infrage stellte: »Wenn Mexiko nicht für die dringend benötigte Mauer zahlen will, dann wäre es besser, das Treffen abzusagen« (@realDonaldTrump 26.1.2017) – was Nieto dann auch tat (via Twitter). Regierungschefs anderer Staaten, auch Partnerländer, werden in Trumps Tweets häufig benotet, gern auch negativ, so der kanadische Premierminister Justin Trudeau im Juni 2018: »Very dishonest and weak« (@realDonaldTrump 10.6.2018). Das widerspricht eklatant dem Code außenpolitischer Tradition.

Die sprachlichen Formen des öffentlichen Umgangs mit innerstaatlichen Gegnern sind härter als die des diplomatischen Verkehrs. Doch bei aller Härte in der Sache gilt auch hier die Norm eines zivilisierten Umgangs miteinander. Dagegen verstoßen Trumps Tweets täglich. Das braucht hier nicht am Beispiel gezeigt zu werden.

Hinter dem von Trump praktizierten Paradigma steckt Kalkül: Statt Umgangsregeln und Sprache der demokratisch-republikanischen Tradition zu pflegen, wirken öffentliche Grobheiten in den populistisch ansprechbaren Milieus, auf die dieser Stil zielt, vertraut und authentisch und ermöglichen Identifikation mit dem, der es als Staatschef wagt, so zu reden. Wem ein Präsident mehrmals am Tag ganz unverstellt mitteilt, was er denkt, der kann sich ihm ganz nah fühlen – zumal, wenn der Mann an der Staatsspitze dieselben Leute aufs Korn nimmt, die man selber hasst oder gerne bereit ist zu hassen.

Abschließend noch ein Wort zu Twitter im Allgemeinen und dem medial geradezu zelebrierten Ausstieg des Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck aus Twitter zu Jahresbeginn 2019 im Besonderen: 280 Zeichen lassen Entfaltung von Argumenten ebenso wenig zu wie Schilderung halbwegs komplexer Sachverhalte. Der Ausdruck starker Emotionen kann dagegen knapp erfolgen – je knapper, je zugespitzter, je polarisierender, desto größer die Chance auf die begehrte Beachtung.

Habeck hatte damit irritierende Erfahrungen gemacht. Nach eigenem Urteil ist er der Verführungskraft des Mediums erlegen, als er sich zu einer Formulierung hinreißen ließ, die ein gutes Wahlergebnis der Grünen in Thüringen mit der Einführung der Demokratie dort gleichsetzte. Sich deshalb als politische Führungsfigur aus dem ungeliebten, aber wichtigen Medium zurückzuziehen, erscheint mir allerdings eine faule Ausrede, mindestens aber hasenfüßig zu sein. Wenn es in den Fingern juckt, könnte der Grünen-Vorsitzende ja auch einer uralten Regel rationalen Verhaltens folgen: Erst nachdenken oder gar eine Nacht darüber schlafen, bevor man den Tweet absetzt.

 

Literatur

Deutscher Bundestag 2018: Protokoll 19/48 vom 12. September 2018.

Duden 2012: Deutsches Universalwörterbuch. Mannheim: Duden Verlag.

Fiehler, Reinhard 1990: Kommunikation und Emotion. Theoretische und empirische Untersuchungen zur Rolle von Emotionen in der verbalen Interaktion. Berlin: De Gruyter.

Hermanns, Fritz 1995: Kognition, Emotion, Intention. Dimensionen lexikalischer Semantik. In: Gisela Harras (Hg.): Die Ordnung der Wörter. Kognitive und lexikalische Strukturen. Berlin/New York: De Gruyter, 138-178.

Jäger, Ludwig (Hg.) 1988: Zur historischen Semantik des deutschen Gefühlswortschatzes. Aspekte, Probleme und Beispiele seiner lexikographischen Erfassung. Aachen: Alano-Rader.

Johnson-Laird, Philip/Oatley, Keith 1989: The Language of Emotions. An Analysis of a Semantic Field. In: Cognition and Emotion 3, 81-123.

Klein, Josef 2003: Politische Rede. In: Gert Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 6, Tübingen: Niemeyer, 1465-1521.

Klein, Josef 2019: Politik und Rhetorik. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS.

Korte, Karl-Rudolf (Hg.) 2015: Emotionen und Politik. Begründungen, Konzeptionen und Praxisfelder einer politikwissenschaftlichen Emotionsforschung. Baden-Baden: Nomos.

Nussbaum, Martha 2013: Political Emotions: Why Love Matters for Justice. Cambridge, MA: The Belknap Press of Harvard University Press.

Schwarz-Friesel, Monika 2013: Sprache und Emotion. 2. Auflage. Tübingen: Francke.

 

Online-Quellen

https://de.wikiquote.org/wiki/Walter_Momper, zuletzt abgerufen am 30.06.19.

Angela Merkel im Gespräch. Es wird sehr, sehr knapp. Interviewer: Leithäuser, Johannes/Lohse, Eckhart. In: https://www.faz.net, 16.08.2013; zuletzt abgerufen am 30.06.19.

Rezo 2019: Die Zerstörung der CDU. Online: https://www.youtube.com/watch?v=4Y1lZQsyuSQ, zuletzt abgerufen am 30.06.19.

TV-Duell Merkel – Steinbrück 2013. [Fernsehsendung] ARD, ausgestrahlt am 01.09.13. Online: http://mediathek.daserste.de/ARD-Sondersendung/Das-TV-Duell-Merkel-Steinbrück/Video?bcastId=3304234&documentId=25990514, zuletzt abgerufen am 30.06.19.

 


1 ›Situationsbezug‹ ist in dieser Kategorisierung im engen Sinne verwendet, insofern ›Selbstbezug‹ und ›Bezug auf Andere‹ nicht darunter subsummiert werden, sondern als eigene Kategorien fungieren.