Editorial

Tanja Gnosa und Kerstin Kallass

 

Liebe*r Leser*in,

Sie haben den Weg zur digitalen Festschrift zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Wolf-Andreas Liebert gefunden – darüber freuen wir uns sehr und heißen Sie herzlich willkommen. Wir wünschen Ihnen eine anregende, intellektuell stimulierende, fröhliche, augenzwinkernde Lektüre der von unseren Autor*innen unternommenen Grenzgänge!

 

Zur Entstehung dieser Festschrift oder: Warum Grenzgänge?

Festschriften sind schon länger nicht mehr en vogue, werden von Verlagen vermieden, haben den Ruf, old fashioned zu sein und eine Art Resteverwertung für zweitklassige Texte zu betreiben. Wir finden das aus mehreren Gründen bedauerlich: Erstens finden sich in ihnen in aller Regel thematisch gebündelte Auseinandersetzungen von Wissenschaftler*innen, die über die gemeinsame Arbeit mit dem*der Geehrten zumindest lose miteinander verbunden sind. Festschriften stellen also einerseits einen wichtigen Beitrag zur Forschung dar und ermöglichen andererseits im besten Falle neue Kooperationen. Zweitens sind Festschriften eine der seltenen Gelegenheiten, die Arbeit von Kolleg*innen und Wegbegleiter*innen dezidiert wertzuschätzen, indem man sich inhaltlich auf sie bezieht und damit eine Lebensleistung benennt und sichtbar macht – in einem Wissenschaftssystem, das vornehmlich Wettbewerb belohnt, muss lange suchen, wer ein anderes Format finden will, das das ermöglicht. Drittens und nicht zuletzt stellen Festschriften aber auch für die Herausgeber*innen eine Möglichkeit dar, einem für sie wichtigen Menschen ihren Dank zu entbieten. Dass diese Festschrift in digitaler Form vorliegt, kommt zuletzt – so hoffen wir – Wolf-Andreas Lieberts Affinität zu digitalen Formaten entgegen.

Aus diesen Gründen haben wir uns für diesen Grenzgang entschieden. Wir, Tanja Gnosa und Kerstin Kallass, sind Wolf-Andreas Liebert auf viele Weisen verbunden. Als Vorgesetzter, Doktorvater, (wissenschaftlicher) Sparringspartner und Berater begleitet er uns nun schon seit vielen Jahren, in denen wir gemeinsam gestritten, gerungen und gelitten, aber auch gefeiert und gelacht haben. Doch genug zu uns: An dieser Stelle sollte eigentlich ein detaillierter Abriss der Liebert’schen Biographie folgen. Wir haben uns gegen einen solchen entschieden, denn wir finden, dass diese digitale Festschrift viele Facetten seines Arbeitens und Lebens widerspiegelt. Soviel sei allerdings erlaubt: Sie ist nicht umsonst dem Thema ›Grenze‹ gewidmet. Denn Wolf-Andreas Liebert ist als unermüdlicher Akteur und Forscher an den Grenzen der Linguistik anzusehen. Schon unmittelbar zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn wagte er den direkten Blick auf medizinische und naturwissenschaftliche Forschung, um hierdurch interdisziplinäre Wege gleichsam aufzuzeigen und zu beschreiten, etwa mit seiner Magisterarbeit zu populärwissenschaftlichen Texten über die moderne Physik. Danach hat er seine forscherische Arbeit zu Metaphernmodellen in der AIDS-/HIV-Forschung, zur Künstlichen Intelligenz, zur (sprachlichen) Selbstermächtigung, zu Empathie und aktuell zur Sprache des politischen und religiösen Extremismus konsequent entlang disziplinärer Grenzen vorangetrieben. Damit standen und stehen insbesondere die Grenzen des Wissens im Mittelpunkt seiner Arbeit.1 Dass dies nicht auf graue Theorie beschränkt bleibt, zeigt sich in der empirischen Forschung Wolf-Andreas Lieberts, und es zeigt sich an den Beiträger*innen dieser Festschrift: Mit ihnen allen hat – ob Linguist*innen oder Soziolog*innen, Philosoph*innen oder Literaturwissenschaftler*innen, Informatiker*innen oder Pädagog*innen – Wolf-Andreas Liebert bereits gemeinsame Projekte auf den Weg gebracht und realisiert. Und doch bleibt er im Kern Linguist, Angehöriger einer Disziplin, deren Geschichte eng mit dem Konzept der Grenze verbunden ist. So erklärt sich der Fokus des (geheimen) Calls zu dieser Festschrift:

Schon in ihren Ursprüngen war die Beschäftigung mit Sprache durch Abgrenzungen charakterisiert, aber insbesondere die Entstehung der modernen Linguistik zu Beginn des 20. Jahrhunderts lässt sich als Instantiierung einer Grenze begreifen: Sie fand ihren Ausgangspunkt in den strukturalistischen Arbeiten Ferdinand de Saussures, in denen sich nicht nur die bis dato wirkmächtigste Beschreibung ihres genuinen Gegenstandes, der Sprache, findet, sondern die auch den Ausgangspunkt der Abgrenzung der Sprachwissenschaft(en) von klassischen, philologischen Forschungsdesigns und mithin der Grenzziehung zwischen Literatur- und Sprachbetrachtung i.e.S. markieren. So ließ sich ein Forschungsfeld mit vielfältigen Facetten entfalten. Allerdings stellte die Fokussierung auf die strukturalen Anteile der Sprache i.S.v. langue auch eine nicht unerhebliche Selbstbeschränkung dar – wie alle Grenzziehungen entfaltete auch diese sowohl produktive als auch restriktive Potenziale. Erst in den 1960er Jahren öffneten sich diese engen Grenzen durch den Einfluss des sprachphilosophischen Pragmatismus wieder hin zu einer Betrachtung sprachlich-kommunikativer Handlungsvollzüge. Nicht umsonst ist diese Grenzüberschreitung als pragmatische Wende in die Geschichte des Fachs, aber auch der Geisteswissenschaften überhaupt eingegangen. Sie ist als Wegbereiter für die Etablierung neuer linguistischer Gegenstandsfelder anzusehen und schlug sich u.a. in einer stärkeren interdisziplinären Zusammenarbeit nieder: Ob gesprächs-, sozio-, diskurs-, computer- oder medienlinguistische Forschungen, sie alle öffne(te)n sich angrenzenden Gebieten und den mit ihnen assoziierten Disziplinen. Dies ging indes nicht ohne innerdisziplinäre Widerstände ab: Das starke Gründungsparadigma des Strukturalismus veranlasste die sogenannte ›Kernlinguistik‹ immer wieder zu Grenzziehungsbewegungen – um nicht zu sagen zu Grenzkämpfen. Dem ungeachtet umfasst die rezente Linguistik eine Reihe teils heterogener Differenzierungen. Sie alle sind anschlussfähig an die gegenwärtige Tendenz, Geistes- und Sozial- als Kulturwissenschaften zu begreifen. Diese Entwicklung wiederum lässt sich als liminal (V. Turner) charakterisieren: Sie eröffnet einen Schwellenbereich, der die Neuverhandlung (linguistischer) Grenzen ermöglicht, aber auch Unsicherheit produziert.

 

Die Beiträge

Die in dieser digitalen Festschrift veröffentlichten Beiträge lassen sich daher konsequent an fachlichen Grenzen – jenen der Linguistik, aber auch darüber hinaus – verorten. Entlang der von Wolf-Andreas Liebert beforschten Themenbereiche wie Ästhetik, Kommunikative Praktiken, Kultur, Politik, Religion und Selbstermächtigung beleuchten die Autor*innen in teilweise multimodalen Formaten inter- oder transdisziplinäre Themen, die sich auf oder entlang von Fächergrenzen bewegen. Innerhalb der Themenbereiche erreicht man die Beiträge über die jeweiligen Kacheln. Ebenso bunt wie die Themen sind die Textsorten der Festschrift – sie reichen von grundlegend wissenschaftlichen Artikeln über illustrierte Geschichten bis hin zu musikalischen Beiträgen.

Ergänzt wird die Festschrift durch den Bereich »Miszellen«, in dem kleinere und größere persönliche Glückwunsch-Beiträge zu finden sind. Die längeren Beiträge haben auch hier eigene Kacheln, unter »Glückwünsche« sind, in einem Listenformat, Grüße und Gratulationen verschiedenster Personen, Institutionen und Projekten gesammelt, die in enger Verbindung mit Wolf-Andreas Liebert stehen. Abgesehen von diesen Gratulationen können alle Beiträge der Festschrift als pdf-Version heruntergeladen werden. Das digitale Format ermöglicht es, auch über den Launch der Website hinaus noch Beiträge aufzunehmen, so dass sich die Seite zukünftig immer wieder verändern und durch weitere Beiträge ergänzt werden wird.

 

Dank

Ganz herzlich möchten wir uns an dieser Stelle bei allen Autor*innen bedanken, die es uns mit ihrem Beitrag erst ermöglicht haben, eine solche Festschrift auf die Beine zu stellen. Ihre Kreativität, Ihre Bereitschaft, allzu enge Deadlines einzuhalten, die spürbare Verbundenheit mit Wolf-Andreas Liebert und die Freundlichkeit, mit der sie mit uns kommuniziert haben, hat das Erstellen der Seite zu einer Arbeit gemacht, die Freude bereitet.

Ohne Jürgen Hoffmann, der die Website mit viel Liebe zum Detail und großer Geduld erstellt und uns damit vor allem den technischen Part abgenommen hat, aber auch eine Unterstützung bei dem Blick auf das große Ganze war, wäre die Festschrift in dieser Form nicht entstanden. Vielen Dank!

Melanie Lange und Aline Sohny haben uns beim Formatieren und Lektorieren der Beiträge – unter gewohnt großem Zeitdruck und mit gewohnt großer Sorgfalt – unterstützt: Danke!

Unser Dank gilt ebenfalls dem Institut für Germanistik, das den Rahmen für dieses Projekt darstellt und Wolf-Andreas Liebert und uns überhaupt erst zusammengebracht hat.

Zuletzt danken wir dem zum Ende hin immer größer gewordenen Kreis der »Eingeweihten«, die bis zum Schluss Stillschweigen gewahrt haben.

Unser besonderer Dank für die jahrelange Begleitung auf dem häufig auch steinigen Weg in die wissenschaftliche Praxis, für Beratung, Diskussion und Unterstützung in (fast) allen Lebenslagen geht aber – und manifestiert sich in dieser Webseite – an Dich, Andreas. Herzliche Glückwünsche zum 60. Geburtstag!

Die Herausgeberinnen

Dr. Tanja Gnosa und Dr. Kerstin Kallass

 


 

1 All jene, denen dieser Ausschnitt nicht genügt, seien – dem digitalen Format sei Dank – auf seine Webseite verwiesen: https://userpages.uni-koblenz.de/~liebert/.