Kommunikationsgrenzen überwinden:
Design-Thinking in der politischen Kommunikation

Ekke­hard Fel­der und Jör­an Landschoff

 

1. Relevanz von linguistischer Expertise in der politischen Analyse von Politiker-Bürger-Interaktionen1

Poli­ti­sches Han­deln ist zum größ­ten Teil sprach­li­ches Han­deln (vgl. Girnth 2015, 37, Felder/Jacob 2017). Die Spra­che-und-Poli­tik-For­schung befasst sich als Zweig der Lin­gu­is­tik mit Fra­gen nach der Dis­tri­bu­ie­rung, Legi­ti­mie­rung und Kon­struk­ti­on sozia­ler und poli­ti­scher Wirk­lich­keit (vgl. Wengeler/Ziem 2015, 493). Dabei ana­ly­sie­ren poli­to­lin­gu­is­ti­sche Stu­di­en sowohl Kom­mu­ni­ka­ti­on im poli­tisch-prak­ti­schen Raum, wie zum Bei­spiel dem Bun­des­tag, als auch deren Kon­tex­te, Kon­tex­tua­li­sie­rung und die Anschluss­kom­mu­ni­ka­ti­on im öffent­li­chen Dis­kurs. Äuße­run­gen von Poli­ti­kern, aber auch sol­che im öffent­li­chen Dis­kurs zu poli­ti­schen The­men, wer­den als Tex­te unter­sucht, die unter Berück­sich­ti­gung ihrer Media­li­tät, Inter­tex­tua­li­tät und Pro­zes­sua­li­tät Auf­schluss über Per­spek­ti­vie­run­gen, Hal­tun­gen und Ein­stel­lun­gen geben kön­nen. Die lin­gu­is­ti­schen Ana­ly­se­ein­hei­ten, die zu sol­chen Unter­su­chun­gen her­an­ge­zo­gen wer­den, kön­nen sowohl ein­zel­ne Aus­drü­cke als auch gan­ze Sät­ze oder über den Ein­zel­text hin­aus­ge­hen­de Struk­tu­ren wie bei­spiels­wei­se wie­der­keh­ren­de meta­pho­ri­sche Kon­struk­te sein (zu Metho­den der Poli­to­lin­gu­is­tik vgl. Niehr 2014, 63ff.).

Somit wird poli­ti­sche Pra­xis als sym­bo­li­sche Hand­lungs­prak­tik ver­stan­den, bei der sprach­lich Agie­ren­de an unter­schied­li­chen Stel­len im poli­ti­schen Sys­tem und der Öffent­lich­keit auf­find­bar sind und jeweils sowohl als Han­deln­de, also als Sen­der von Infor­ma­tio­nen, als auch als Emp­fän­ger in Erschei­nung tre­ten. Im kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­li­chen Sinn ist Poli­tik das Her­stel­len und die Ver­brei­tung von poten­ti­ell poli­ti­sche Ent­schei­dung beein­flus­sen­den Bot­schaf­ten (vgl. Pent­zold 2017, 515). Es wird davon aus­ge­gan­gen, dass stra­te­gi­sche kom­mu­ni­ka­ti­ve Akte voll­zo­gen wer­den, die bestimm­te Zie­le ver­fol­gen. Sol­che sind auf Sei­ten der Par­tei­en in demo­kra­ti­schen Sys­te­men bei­spiels­wei­se das Vote-See­king, das Poli­cy-See­king, das Office-See­king und das Demo­cra­cy-See­king (vgl. Pap­pert 2017, 286). Lin­gu­is­ti­sche Dis­kurs­ana­ly­sen kön­nen fest­stel­len, wann dis­kur­si­ve Stra­te­gien von Erfolg geprägt zu sein schei­nen, indem domi­nan­te Tex­te zunächst eru­iert und anschlie­ßend die Grün­de für ihre Viru­lenz im Dis­kurs auf sprach­li­cher Ebe­ne ana­ly­siert wer­den (vgl. ebd., 291). Nicht umsonst inves­tie­ren Par­tei­en in Exper­ti­se im kom­mu­ni­ka­ti­ven Bereich – die Bedeu­tung der Wahl der rich­ti­gen Wor­te ist seit jeher exis­ten­ti­ell für poli­ti­schen Erfolg.

Kor­pusprag­ma­ti­sche Ansät­ze befas­sen sich mit der Fra­ge nach den Funk­ti­ons- und Wir­kungs­po­ten­tia­len von Äuße­run­gen in Dis­kur­sen (vgl. Felder/Müller/Vogel 2012, 12). Die Dis­kurs­lin­gu­is­tik kann dem­nach für die Unter­su­chung poli­ti­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on mit einer gro­ßen Metho­den­viel­falt auf­war­ten und ist unver­zicht­bar, wenn Poli­tik in sprach­li­cher Inter­ak­ti­on auf­tritt. Gilt das For­schungs­in­ter­es­se der Ver­bes­se­rung oder Anlei­tung sol­cher kom­mu­ni­ka­ti­ven Prak­ti­ken, so scheint es uner­läss­lich, sich auf die Erkennt­nis­se aus jahr­zehn­te­lan­ger For­schung zu Spra­che und Poli­tik zu bedienen.

 

2. Kommunikative Interaktionsstörungen (Erwartungshaltungen, Missverstehen) zwischen Politik und Bürgerschaft als ein mögliches Indiz für die Abkehr von Politik (Populismus)

Wie häu­fig liest oder hört man in Nach­rich­ten und Pres­se Phra­sen wie die Bür­ger wie­der errei­chen‹ oder ›den Wäh­ler ernst neh­men‹, ›auf die Men­schen zuge­hen? Die Lis­te lie­ße sich mit Sicher­heit um ein Viel­fa­ches erwei­tern, indem nur ein paar Zei­tungs­aus­ga­ben, die am Tag nach einer Wahl erschie­nen, zu Rate gezo­gen wer­den. Obers­tes Ziel und Inter­es­se poli­ti­scher Par­tei­en in demo­kra­ti­schen Sys­te­men ist es, ihre Wäh­ler­schaft von sich zu über­zeu­gen, wobei sie zugleich als Infor­ma­ti­ons­quel­le zur poli­ti­schen Bil­dung der Bevöl­ke­rung bei­tra­gen müs­sen. Per­sua­si­ve und infor­ma­ti­ve Zie­le ver­mi­schen sich somit not­wen­dig in der Aus­wahl der Kom­mu­ni­ka­te, wes­halb im All­ge­mei­nen nicht von kom­mu­ni­ka­ti­ver Trans­pa­renz aus­ge­gan­gen wer­den kann. Aus lin­gu­is­ti­scher Per­spek­ti­ve sind bei die­ser Poli­ti­ker-Bür­ger-Kom­mu­ni­ka­ti­on fol­gen­de poten­zi­ell pro­ble­ma­ti­sche Phä­no­me­ne erwartbar:

  1. Ver­wen­de­te lexi­ka­li­sche Ein­hei­ten wei­sen viel­schich­ti­ge Bedeu­tungs­di­men­sio­nen auf. Auf­grund von unzu­rei­chen­der Spe­zi­fi­zie­rung (vgl. Wengeler/Ziem 2015, 501) ent­ste­hen Bedin­gun­gen für Miss­ver­ste­hen (Mül­ler 2015) auf­grund von diver­gen­ten Form-Bedeu­tungs-Paa­ren auf Sen­der- und Empfängerseite.
  2. Die sozia­le Bedeu­tung lexi­ka­li­scher Ein­hei­ten ver­weist qua Typi­sie­rung und Sche­ma­ti­sie­rung auf kol­lek­tiv bekann­te poli­ti­sche Per­spek­ti­vie­run­gen und Posi­tio­nie­run­gen (sprach­li­che Zei­chen als Erken­nungs­zei­chen, als Schib­bo­leth) und kön­nen einen unbe­ab­sich­tig­ten Kli­en­te­lis­mus her­vor­ru­fen oder ver­mu­ten lassen.
  3. Die absichts­vol­le Ver­wen­dung emo­tio­na­li­sie­ren­der und stark per­spek­ti­vie­ren­der Bild­spra­che kann ande­re Blick­win­kel auf den­sel­ben Sach­ver­halt erschwe­ren, indem bestimm­te Situa­tio­nen sprach­lich gerahmt wer­den und so Vor­ein­ge­nom­men­heit ver­stär­ken (Framing).2 Die Theo­rie der kon­zep­tu­el­len Meta­phern argu­men­tiert, dass jede Meta­pher gewis­se Aspek­te des mit ihr kon­zep­tua­li­sier­ten Sach­ver­halts her­vor­hebt und ande­re ver­birgt (vgl. Kövec­ses 2010, 92).

Die­se sprach­li­chen Pro­blem­la­gen kön­nen sowohl auf Sei­ten der Wäh­ler­schaft als auch auf Sei­ten der Poli­tik zu Frus­tra­ti­on füh­ren, wenn Gefüh­le von Miss­ver­ste­hen und Miss­ver­stan­den-Wer­den auf­tre­ten. Für poli­ti­sche Per­sön­lich­kei­ten bedeu­tet Miss­ver­ste­hen Mehr­auf­wand, weil sie sich erneut erklä­ren, mit Fehl­in­ter­pre­ta­tio­nen ihres Sprach­han­delns auf­räu­men oder sich sogar ent­schul­di­gen müs­sen. Die viel zitier­te und monier­te Poli­tik­ver­dros­sen­heit inner­halb der Bevöl­ke­rung (so sie denn tat­säch­lich empi­risch vor­han­den ist) lie­ße sich zu Tei­len mit genann­ter Frus­tra­ti­ons­er­fah­rung erklä­ren, laden doch Miss­ver­ste­hen und Miss­ver­stan­den-Wer­den dazu ein, sich ver­ges­sen, ver­ra­ten oder ver­leum­det zu füh­len, was das Ver­trau­en in reprä­sen­ta­ti­ve Poli­tik­sys­te­me schwächt.

Auch die Dia­lo­gi­zi­tät und Qua­li­tät der kom­mu­ni­ka­ti­ven Inter­ak­ti­on zwi­schen Par­la­ment und Öffent­lich­keit ist nicht vor­aus­set­zungs­frei. So tre­ten obi­ge sprach­li­che Schwie­rig­kei­ten zu Tage, weil bei­spiels­wei­se auf unter­schied­li­chen Sei­ten der Kom­mu­ni­ka­ti­on von unter­schied­li­chen Bedeu­tun­gen aus­ge­gan­gen wird und so sprich­wört­lich anein­an­der vor­bei­ge­re­det wird. Poli­ti­ker müs­sen zudem mög­lichst über alle sozia­len Milieus und Schich­ten hin­weg Gehör und vor allem Ver­ständ­nis fin­den, wes­halb von einem sehr hete­ro­ge­nen Bil­dungs­grad auf Rezi­pi­en­ten­sei­te aus­ge­gan­gen wer­den muss. Dar­aus folgt, dass das Ver­ste­hen poli­ti­scher Aus­drü­cke in hohem Maße von Erfah­run­gen mit poli­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­pflo­gen­hei­ten abhängt und die Stra­te­gien beim wahl­be­rech­tig­ten Indi­vi­du­um zumin­dest ansatz­wei­se bekannt sein müssen.

 

3. Frage: Wie könnte ein linguistischer Beitrag zur Verbesserung der Politiker-Bürger-Kommunikation aussehen?

Obi­ge Aus­füh­run­gen sind mit­nich­ten neue Erkennt­nis­se. Ganz im Gegen­teil sind sie für die Poli­to­lin­gu­is­tik und in der poli­ti­schen Pra­xis fast tri­vi­al und im All­tag erfahr­bar. Inter­es­sant ist, dass es bis­her weni­ge prak­ti­sche Anwen­dungs­be­rei­che für For­schungs­er­kennt­nis­se aus der Poli­to­lin­gu­is­tik gibt. Dies ist umso erstaun­li­cher, als Debat­ten über die Ver­ro­hung des öffent­li­chen Dis­kur­ses, der Beein­flus­sung der Bür­ger­schaft durch etwa den Popu­lis­mus in Euro­pa oder auch soge­nann­te ›Fake News‹ in der öffent­li­chen Debat­te all­ge­gen­wär­tig sind. Man könn­te doch anneh­men, dass sol­che Debat­ten förm­lich nach pro­fes­sio­nel­ler Hil­fe schrei­en. Die Lin­gu­is­tik müss­te aus unse­rer Sicht auch den Ehr­geiz ent­wi­ckeln, die Poli­ti­ker-Bür­ger-Kom­mu­ni­ka­ti­on zu ver­bes­sern oder zumin­dest Mög­lich­kei­ten auf­zu­zei­gen, wie sie bes­ser gelin­gen könnte.

Seman­ti­sche Pro­ble­me etwa könn­ten abge­schwächt wer­den, indem beim Lesen poli­ti­scher Tex­te ad hoc Erläu­te­run­gen zu ein­zel­nen Aus­drü­cken zur Ver­fü­gung gestellt wür­den, die sich der Ergeb­nis­se dis­kurs­lin­gu­is­ti­scher Unter­su­chun­gen bedie­nen. Ein Bei­spiel: For­schungs­ein­bli­cke in die Beset­zungs- und Umwer­tungs­stra­te­gien poli­ti­scher Begrif­fe durch Par­tei­en und poli­ti­sche Akteu­re (vgl. dazu Klein 2017) kön­nen dafür ver­wen­det wer­den, dem Lesen­den poli­ti­scher Tex­te auf­zu­zei­gen, wel­che poli­ti­schen Stoß­rich­tun­gen und Ten­den­zen die Ver­wen­dung eines bestimm­ten Voka­bu­lars anzei­gen kann. Nicht jedem sind die Ver­wen­dungs­stra­te­gien von Hochwert‑, Programm‑, Fah­nen- und Stig­ma­wör­tern bekannt. Glei­cher­ma­ßen müs­sen Rede­stra­te­gien im Para­dig­ma des Seman­ti­schen Kamp­fes hin­sicht­lich Bezeich­nungs­kon­kur­ren­zen (»Flücht­lin­ge« ver­sus »Geflüch­te­te«), Bedeu­tungs­fi­xie­rungs­ver­su­che wie bei dem Hoch­wert­wort »Gene­ra­tio­nen­ge­rech­tig­keit« (Poli­ti­ker ver­su­chen die­sen deon­tisch posi­tiv auf­ge­la­de­nen Bezugs­punkt in die eige­nen Sprach­spie­le zu inte­grie­ren) und Sach­ver­halts­fi­xie­rungs­ver­su­che (sprach­li­che Wirk­lich­keits­fi­xie­rung mit Sät­zen wie »Die Spar­ein­la­gen sind sicher« von Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel und Bun­des­fi­nanz­mi­nis­ter Stein­brück am 5. Okto­ber 2008 – als Beru­hi­gung zu Beginn der sog. Finanz­kri­se gedacht) offen­ge­legt wer­den (vgl. Fel­der 2006).

Was in der öffent­li­chen Debat­te an lin­gu­is­ti­schem Ana­ly­se­werk­zeug bekannt ist, wur­de an der Art und Wei­se deut­lich, wie das Medi­en­echo nach Frau­ke Petrys Ver­such im Sep­tem­ber 2016, den Aus­druck ›völ­kisch‹ wie­der posi­tiv zu beset­zen, zeigt.3 Eine Aus­ein­an­der­set­zung mit der Begriffs­ge­schich­te die­ses Aus­drucks mag als demo­kra­ti­sche Pflicht­er­fül­lung ange­se­hen wer­den, ob die­se in der Pra­xis aber vor­kommt, ist höchst frag­lich. In jedem Fall bedeu­tet sie für jeden poli­tisch Teil­ha­ben­den eini­ge Mühe. Eine App, die beim Lesen poli­ti­scher Tex­te auf mobi­len End­ge­rä­ten Fil­ter für bei­spiels­wei­se Fah­nen­wör­ter anzei­gen könn­te, wür­de die­se Mühe beacht­lich redu­zie­ren und neben­bei zur poli­ti­schen Bil­dung bei­tra­gen kön­nen. Auch wei­te­re Fil­ter wären denk­bar, etwa sol­che, die Meta­phern­ge­brauch anzei­gen, der als beson­ders ten­den­zi­ös zu gel­ten hat.

 

4. Das Heidelberger Pilot-Projekt: Design-Thinking-Workshop zur Entwicklung einer Abgeordneten-App

Ange­sto­ßen von die­sen Über­le­gun­gen sowie den Erfah­run­gen aus zwei Ober­se­mi­na­ren der Ger­ma­nis­ti­schen Lin­gu­is­tik an der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg soll im Win­ter­se­mes­ter 2019/20 gemein­sam mit Stu­die­ren­den die Grund­la­ge für eine wie oben beschrie­be­ne Ange­wand­te Lin­gu­is­tik erar­bei­tet wer­den. Zen­tra­les Ele­ment ist ein Work­shop, in dem der Pro­to­typ einer App für die Abge­ord­ne­ten-Bür­ger-Kom­mu­ni­ka­ti­on ent­wi­ckelt wird. Er soll am Ende des Semes­ters ste­hen, wäh­rend­des­sen in einem Ober­se­mi­nar all­ge­mei­ne poli­to- und dis­kurs­lin­gu­is­ti­sche Theo­rien und Metho­den erör­tert, dis­ku­tiert und behan­delt wer­den. Zusätz­lich erhal­ten die Stu­die­ren­den die Mög­lich­keit, Bun­des­tags- oder Land­tags­ab­ge­ord­ne­te einen Tag in ihrem Wahl­kreis zu beglei­ten. Es soll ihnen so ein Ein­blick in den poli­ti­schen All­tag ermög­licht wer­den, den sie aus Sicht eines an Kom­mu­ni­ka­ti­on und Spra­che Inter­es­sier­ten beob­ach­ten sol­len. Das Semi­nar ein­schließ­lich die­ses ›Mini­prak­ti­kums‹ bil­den den Hin­ter­grund für den Work­shop selbst, der im Zei­chen des Design-Thin­kings steht und gemein­sam mit Vas­co Schmidt (SAP SE) durch­ge­führt wird.

Design-Thin­king ist eine koope­ra­ti­ve Metho­de zur Bün­de­lung von Fähig­kei­ten und Kennt­nis­sen von Indi­vi­du­en in einer Grup­pe, die ein als gemein­sam wahr­ge­nom­me­nes Pro­blem lösen wol­len. Design-Thin­king ist mitt­ler­wei­le in den meis­ten Fir­men ein eta­blier­tes Ver­fah­ren, das zur Inno­va­ti­ons­fin­dung her­an­ge­zo­gen wird (vgl. Schmied­gen et al. 2015, 50). Die Groß­grup­pe wird dazu in klei­ne­re Teil­grup­pen geglie­dert, sodass ein Team aus Teams ent­steht, die zunächst unab­hän­gig ope­rie­ren. Die Design-Thin­ker erhal­ten eine für Grup­pen­ar­beit vor­be­rei­te­te Umge­bung, in der sie alle für ihr Unter­fan­gen nöti­gen Bedin­gun­gen sowie Mate­ria­li­en vor­fin­den. In einem in fünf Schrit­te unter­teil­ten Pro­zess sol­len so opti­ma­le Vor­aus­set­zun­gen für Krea­ti­vi­tät und Inno­va­ti­ons­geist geför­dert wer­den, wobei die fünf Pha­sen ite­ra­tiv und nicht not­wen­dig line­ar ver­lau­fen. Je nach Ver­lauf müs­sen ein­zel­ne Schrit­te wie­der­holt werden.

Der ers­te Schritt ist die Ver­ge­gen­wär­ti­gung, Kon­kre­ti­sie­rung und das Aus­ta­rie­ren des Pro­blems. Hier kom­men die Semi­nar- und Prak­ti­kums­er­fah­run­gen ins Spiel, die es den Stu­die­ren­den ermög­li­chen, aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven infor­mier­te Aus­sa­gen über Schwie­rig­kei­ten und Desi­de­ra­te zu machen. Die zwei­te Pha­se dient der Zuspit­zung der abs­trak­ten Pro­blem­la­ge auf einen kon­kre­ten Fall, den es zu lösen gilt. Die­se Pha­se ist auf den Nut­zer aus­ge­rich­tet – in unse­rem Fall das zoon poli­ti­kon. Als Drit­tes wer­den mög­lichst vie­le Lösungs­vor­schlä­ge gene­riert, die zunächst gleich­wer­tig neben­ein­an­der­ste­hen. In die­ser krea­ti­ven Brain­stor­ming-Pha­se ist die Koope­ra­ti­ons­fä­hig­keit beson­ders gefragt. Aus den erar­bei­te­ten Ideen wer­den im vier­ten Schritt Pro­to­ty­pen ent­wi­ckelt. Die­se kön­nen die Form von mög­lichst kon­kre­ten Design-Skiz­zen, aus ein­fa­chen Mate­ria­li­en erstell­ten Objek­ten oder auch dar­stell­ba­ren Pro­zess­ab­läu­fen anneh­men. Ent­schei­dend ist, dass an die­ser Stel­le die Idee zur Lösung des Pro­blems sicht­bar und nach­voll­zieh­bar wird. Letzt­lich wird eine Eva­lu­ie­rungs- oder Test­pha­se ein­ge­läu­tet, in der Feed­back gesam­melt und mög­li­cher Raum zur Opti­mie­rung dis­ku­tiert wird.

Die Stu­die­ren­den wer­den dem­nach in Team­ar­beit mög­li­che Pro­ble­me der Poli­ti­ker-Bür­ger-Kom­mu­ni­ka­ti­on erar­bei­ten, um anschlie­ßend gemein­sa­me Lösun­gen zu dis­ku­tie­ren, die in eine nut­zer­ori­en­tier­te Soft­ware inte­griert wer­den könn­ten. Auf die­se Wei­se erhal­ten die Stu­die­ren­den nicht nur eine pra­xis- und berufs­be­zo­ge­ne Sicht auf ihr eige­nes Fach, son­dern ler­nen auch den Ansatz des Design-Thin­kings ken­nen, der im unter­neh­me­ri­schen Milieu zuneh­mend an Bedeu­tung gewinnt, da er nicht nur die Zusam­men­ar­beit för­dert, son­dern durch die frü­he Berück­sich­ti­gung von Nut­zer­wün­schen und ‑rück­mel­dun­gen attrak­ti­ve und erfolg­rei­che Inno­va­tio­nen ver­spricht (vgl. Schmied­gen et al. 2015, 101). Ob sich tat­säch­lich eine App aus den gewon­ne­nen Ergeb­nis­sen ent­wi­ckeln lässt, steht bei dem Pilot­pro­jekt dabei nicht im Vor­der­grund. Nach­dem die Lin­gu­is­tik ihre Rele­vanz bei der Ana­ly­se von Poli­ti­ker-Bür­ger-Inter­ak­tio­nen mehr­fach bewie­sen hat, steht nun Ver­such an, ihre Erkennt­nis­se in einem pra­xis­na­hen Work­shop bei der Gestal­tung von Soft­ware frucht­bar einzubringen.

 

Literatur

Fel­der, Ekke­hard 2006: Seman­ti­sche Kämp­fe in Wis­sens­do­mä­nen. Eine Ein­füh­rung in Benennungs‑, Bedeu­tungs- und Sach­ver­halts­fi­xie­rungs-Kon­kur­ren­zen. In: ders. (Hg.): Seman­ti­sche Kämp­fe. Macht und Spra­che in den Wis­sen­schaf­ten. Berlin/New York: De Gruy­ter, 13–46 (= Lin­gu­is­tik – Impul­se und Ten­den­zen 19).

Fel­der, Ekkehard/Jacob, Katha­ri­na 2017: Dis­kur­se. In: Niehr, Thomas/Kilian, Jörg/Wengeler, Mar­tin (Hg.): Hand­buch Spra­che und Poli­tik. Bre­men: Hem­pen, 389–406.

Fel­der, Ekkehard/Müller, Marcus/Vogel, Frie­de­mann 2012: Kor­pusprag­ma­tik. Para­dig­ma zwi­schen Hand­lung, Gesell­schaft und Kogni­ti­on. In: dies. (Hg.): Kor­pusprag­ma­tik. The­ma­ti­sche Kor­po­ra als Basis dis­kurs­lin­gu­is­ti­scher Ana­ly­sen. Berlin/Boston: De Gruy­ter, 3–30.

Girnth, Hei­ko 2015: Spra­che und Sprach­ver­wen­dung in der Poli­tik. Eine Ein­füh­rung in die lin­gu­is­ti­sche Ana­ly­se öffent­lich-poli­ti­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on. Berlin/Boston: De Gruyter.

Klein, Josef 2017: Um Begrif­fe kämp­fen. In: Niehr, Thomas/Kilian, Jörg/Wengeler, Mar­tin (Hg.): Hand­buch Spra­che und Poli­tik. Bre­men: Hempen.

Kövec­ses, Zol­tan 2010: Meta­phor. A Prac­ti­cal Intro­duc­tion. New York: Oxford Uni­ver­si­ty Press.

Mül­ler, Mar­cus 2015: Sprach­li­ches Rol­len­ver­hal­ten. Kor­pusprag­ma­ti­sche Stu­di­en zu diver­gen­ten Kon­tex­tua­li­sie­run­gen in Münd­lich­keit und Schrift­lich­keit. Berlin/Boston: De Gruy­ter (= Spra­che und Wis­sen, 19).

Niehr, Tho­mas 2014: Ein­füh­rung in die Poli­to­lin­gu­is­tik. Gegen­stän­de und Metho­den, Stuttgart/Göttingen: UTB.

Pap­pert, Stef­fen 2017: Par­tei­en als Akteu­re. In: Roth, Kers­ten Sven/Wengeler, Martin/Ziem, Alex­an­der (Hg.): Hand­buch Spra­che in Poli­tik und Gesell­schaft. Berlin/Boston: De Gruy­ter, 280–297.

Pent­zold, Chris­ti­an 2017: Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft. In: Roth, Kers­ten Sven/Wengeler, Martin/Ziem, Alex­an­der (Hg.): Hand­buch Spra­che in Poli­tik und Gesell­schaft. Berlin/Boston: De Gruy­ter, 514–532.

Schmied­gen, Jan/Rhinow, Holger/Köppen, Eva/Meinel, Chris­toph 2015: Parts Wit­hout a Who­le? The Cur­rent Sta­te of Design Thin­king Prac­ti­ce in Orga­niza­ti­ons. In: Tech­ni­sche Berich­te des Has­so-Platt­ner-Insti­tuts für Soft­ware­sys­tem­tech­nik an der Uni­ver­si­tät Pots­dam, Uni­ver­si­täts­ver­lag Potsdam.

Wen­ge­ler, Martin/Ziem, Alex­an­der 2014: Spra­che in Poli­tik und Gesell­schaft. In: Fel­der, Ekkehard/Gardt, Andre­as (Hg.): Hand­buch Spra­che und Wis­sen. Berlin/Boston: De Gruy­ter, 493–518.

 

Online-Quelle

Bier­mann, Kai 2016: ›Völ­kisch‹ ist nicht irgend­ein Adjek­tiv. In: ZEIT Online. Auf­ruf­bar unter: https://www.zeit.de/kultur/2016–09/frauke-petry-afd-voelkisch-volk-begriff-geschichte, zuletzt abge­ru­fen am 04.06.19.

 


1 Im Sin­ne einer gen­der­sen­si­blen und inklu­die­ren­den Spra­che wur­den in die­sem Text, wo mög­lich, Aus­drü­cke für Ein­zel­per­so­nen gewählt, mit denen unpro­ble­ma­tisch gene­risch auf Indi­vi­du­en egal wel­chen Geschlechts (weib­lich, divers, männ­lich) refe­riert wer­den kann (z.B. »Indi­vi­du­um«, »poli­tisch Teil­ha­ben­de«). Im Ein­zel­fall war dies aber nicht mög­lich, wes­halb dann auf das gene­ri­sche Mas­ku­li­num oder inde­fi­ni­te Bezeich­nun­gen zurück­ge­grif­fen wur­de (wie hier bei »Poli­ti­ker-Bür­ger-Kom­mu­ni­ka­ti­on«). In sol­chen Fäl­len ver­weist die gram­ma­ti­sche Form aus­drück­lich und unter­schieds­los auf Per­so­nen aller sozia­len Geschlechter.

2 Es sei hier ange­merkt, dass die Autoren davon aus­ge­hen, dass die Annah­me einer neu­tra­len Spra­che, die kei­ner­lei Per­spek­ti­vie­rung vor­nimmt, naiv und unan­ge­mes­sen ist. Eine gra­du­el­le Qua­li­tät von Per­spek­ti­vie­rung durch Spra­che scheint ein adäqua­te­rer Ansatz.

3 Sie­he exem­pla­risch dazu Bier­mann 2016 (online unter: https://www.zeit.de/kultur/2016–09/frauke-petry-afd-voelkisch-volk-begriff-geschichte), und ins­be­son­de­re die Leser­de­bat­te in den Kommentarzeilen.