»Die Welt wird schwarz«.
Über das diskursiv konstruierte Konzept ›Rasse‹ als Gegenstand
einer Diskurspragmatik

Alex­an­der Lasch

 

Eines der schärfs­ten Kon­zep­te der Kate­go­ri­sie­rung, der Inklu­si­on und Exklu­si­on, sprich, der Grenz­zie­hung, ist das dis­kur­si­ve Kon­zept der ›Ras­se‹, wel­ches in die­sem Bei­trag im erwei­ter­ten Kon­text einer Kolo­ni­al- und Mis­sio­nars­lin­gu­is­tik dis­ku­tiert wer­den soll. Vor­aus­ge­schickt sei, dass in die­sem Arti­kel Begrif­fe ver­wen­det wer­den, die zwei­fels­oh­ne als ras­sis­tisch ein­zu­stu­fen sind. Sie wer­den zum einen zur kri­ti­schen Distan­zie­rung mit Aste­risk mar­kiert – so wer­den sie visu­ell nicht vor dem Text her­aus­ge­ho­ben, aber den­noch in ihrem Sta­tus aus­ge­zeich­net.1 Zum ande­ren wird in die­sem Bei­trag die ana­ly­ti­sche Qua­li­tät eben die­ser Begrif­fe eine Rol­le spielen.

Wenn Achil­le Mbem­be vom *Neger spricht, ohne das ras­sis­ti­sche Kon­zept als sol­ches zu mar­kie­ren, ist das in der aktu­el­len Dis­kurs­land­schaft als eine uner­hör­te Grenz­ver­let­zung zu bewer­ten. Ein sol­cher gegen die For­mu­lie­rungs­kon­ven­tio­nen gewähl­ter Auf­takt soll hier, wie bei Mbem­be, der Aus­gangs­punkt sein, um von Mbem­bes Kri­tik der schwar­zen Ver­nunft aus über das Kon­zept ›Ras­se‹ als Gegen­stand dis­kurs­prag­ma­ti­scher Stu­di­en nach­zu­den­ken. Denn die Figur des *Negers, so wie sie bei Mbem­be ent­wor­fen und auch hier ver­stan­den wird, ist das pro­to­ty­pi­sche in der euro­päi­schen Tra­di­ti­on kon­sti­tu­ier­te Ras­sen- als Aus­gren­zungs­sub­jekt. Es zu benen­nen, beschämt die Unter­jo­chen­den, indem bei jeder Nen­nung dem euro­päi­schen Impe­ria­lis­mus der Spie­gel vor­ge­hal­ten wird. Jeman­den so zu benen­nen, ist ras­sis­tisch. »Schwarz gebo­ren, zum *Neger gemacht« ist die For­mel, auf die Jonas Hampl (2013) in der ZEIT in einem Leser­brief eben die­se Pra­xis bringt. In die­ser Dif­fe­ren­zie­rung wird der Begriff hier aus­schließ­lich gebraucht.

Die Figur des *Negers ist eine, zu der nie­mand gemacht wer­den möch­te. Die Reduk­ti­on auf die Haut­far­be macht den *Neger zur idea­len Figur ras­sis­ti­schen Den­kens. Reden wir von ihr, dann refe­rie­ren wir zum einen auf etwas, das in unse­rer Geschich­te über lan­ge Jahr­hun­der­te schil­lernd die Sehn­sucht nach einem exo­ti­schen, ursprüng­li­chen und ech­ten, wah­ren, zivi­li­sa­to­risch noch nicht über­form­ten Leben mar­kie­ren mag, zum ande­ren aber für bru­ta­le und bit­te­re Ver­skla­vung und Aus­nut­zung zu öko­no­mi­schen Zwe­cken von Men­schen auf der ande­ren Sei­te steht. Lenkt man den Fokus auf die­ses Kon­strukt, löst man in west­li­chen Dis­kurs­tra­di­tio­nen »lei­den­schaft­li­che Dyna­mi­ken und ein Über­maß an Irra­tio­na­li­tät« aus (Mbem­be 2016).

Der Aus­gangs­fra­ge ›Was ist Ras­sis­mus‹ nähe­re ich mich über ver­schie­de­ne For­schungs­per­spek­ti­ven im Dia­log, um zu illus­trie­ren, dass in der sprach­wis­sen­schaft­li­chen For­schung dem Kon­zept ›Ras­se‹ sehr zurück­hal­tend begeg­net wird. In eige­ne Über­le­gun­gen an einem his­to­ri­schen Bei­spiel lei­te ich über aus­ge­hend von der Hypo­the­se, dass Ras­se als dis­kur­si­ves Kon­strukt auf­zu­fas­sen sei. Kern die­ses Kon­struk­tes sind ver­schie­de­ne Kon­zep­tua­li­sie­run­gen, die ich deduk­tiv (aber nicht exhaus­tiv) aus der sozio­lo­gi­schen und phi­lo­so­phi­schen For­schung zum Ras­sis­mus ablei­ten wer­de und an his­to­ri­schen Tex­ten, die ihren Ursprung im spä­ten 18. Jahr­hun­dert und frü­hen 19. Jahr­hun­dert auf den kari­bi­schen Inseln – aus euro­päi­scher Per­spek­ti­ve als ›West­in­di­en‹ kon­zep­tua­li­siert – haben, zum Zie­le der Ope­ra­tio­na­li­sie­rung des Begriffs nach­wei­sen möch­te. In die­sen his­to­ri­schen Bei­spie­len sind ver­schie­de­ne Mecha­nis­men zur sozi­al­stra­ti­fi­ka­to­ri­schen Grenz­zie­hung zu beob­ach­ten, die geeig­net sind, das Eige­ne vom Frem­den sprach­lich abzu­gren­zen, es zu exklu­die­ren. In einem wei­te­ren Schritt wer­de ich mich für ras­sis­ti­sches Den­ken basa­len Kon­zep­ten zuwen­den. Die­se sedi­men­tie­ren im Sprach­ge­brauch als kol­lek­ti­ve Denk­mus­ter, die auch heu­te noch die Vor­stu­fen ras­sis­ti­schen Den­kens anzei­gen können.

 

1. ›Rasse‹ und ›Rassismus‹ als Konzepte in der sprachwissenschaftlichen Forschung

Die Mecha­nis­men der Exklu­si­on des ›Frem­den‹ sind in vie­len For­schungs­fel­dern der Sprach- und Lite­ra­tur­wis­sen­schaf­ten Gegen­stand, ohne aber dabei das Kon­zept ›Ras­se‹ zu expli­zie­ren geschwei­ge denn zu ope­ra­tio­na­li­sie­ren. Das möch­te ich im Fol­gen­den an weni­gen Schlag­lich­tern zeigen.

In den letz­ten Jah­ren sind eini­ge, vor­nehm­lich struk­tu­ra­lis­tisch-lexi­ko­gra­phi­sche Arbei­ten erschie­nen, die sich mit Fremd­heit und Aus­gren­zung des Frem­den beschäf­ti­gen und Gele­gen­heit gebo­ten hät­ten, das Kon­zept ›Ras­se‹ zu the­ma­ti­sie­ren. Exem­pla­risch möch­te ich Die Spra­che der Juden­feind­schaft in der Frü­hen Neu­zeit (2005) von Nico­li­ne Hort­zitz und die Sprach­li­che Aus­gren­zung im spä­ten Mit­tel­al­ter und der frü­hen Neu­zeit (2016) von Anja Loben­stein-Reich­mann her­aus­grei­fen. Ers­te­re kommt aber zu dem wich­ti­gen Ergeb­nis, dass man in der Frü­hen Neu­zeit und in Bezug auf die Juden­feind­schaft nicht von Ras­sis­mus spre­chen kön­ne – ich wer­de an spä­te­rer Stel­le im Kon­text sozio­lo­gi­scher Ras­sis­mus­for­schung noch ein­mal auf die­se Ein­schät­zung zu spre­chen kom­men. Arbeits­prak­tisch ist sie in ihrer (posi­ti­vis­tisch) lexi­ko­gra­phi­schen Aus­rich­tung und der Kon­zen­tra­ti­on auf die Wort­ebe­ne limi­tiert. Für mei­ne Über­le­gun­gen ist rele­vant, dass sie das Kon­zept des Ras­sis­mus im Kon­text ihrer Arbeit über­haupt benennt. Zu glei­chem Ergeb­nis kommt auch Loben­stein-Reich­mann in ihrer Stu­die mit dem Pro­gramm, eine ›Prag­ma­gram­ma­tik‹ und ›Prag­ma­se­man­tik‹ aus­gren­zen­den Spre­chens ent­wer­fen zu wol­len; aber eher impli­zit. Die Arbeit reicht sehr viel wei­ter als die von Hort­zitz, aber auch hier wer­den, wohl der his­to­ri­schen Spe­zi­fi­tät geschul­det, Ras­sis­mus­kon­zep­te aus Phi­lo­so­phie und Sozio­lo­gie weder benannt noch reflek­tiert – so kommt bspw. der Begriff ›Ras­se‹ nur ein ein­zi­ges Mal in der Publi­ka­ti­on vor, näm­lich dann, wenn über eines der Stig­ma­ta Erving Goff­mans gespro­chen wird. Der lexi­ko­gra­phi­sche Ansatz Loben­stein-Reich­manns bie­tet indes vie­le Anknüp­fungs­punk­te für die erneu­te Auf­nah­me in dis­kurs­lin­gu­is­ti­sche Arbei­ten. Die­se zie­len in Tra­di­ti­on Fou­caults aber nicht nur auf das Gesag­te (und mit­hin Gewuss­te), das sich in einer Archäo­lo­gie des Wis­sens frei­le­gen lässt, son­dern auch auf das Nicht­ge­sag­te. Die­ser Prä­mis­se ver­pflich­tet sind u.a. die Arbei­ten von Mar­tin Wen­ge­ler (vgl. exem­pla­risch 2003). Er geht nach Diet­rich Bus­se davon aus, dass Wis­sen nicht nur in Spra­che sedi­men­tie­re, son­dern Spra­che auch Wis­sen kon­sti­tu­ie­re. Wen­ge­ler ist es Anlie­gen, Topoi als Argu­men­ta­ti­ons­mus­ter zu iden­ti­fi­zie­ren, die ein Ver­hält­nis zu Fremd­heit zum The­ma haben. Auf eini­ge der sorg­fäl­tig her­aus­ge­ar­bei­te­ten Topoi, die im Spre­chen über so genann­te ›Gast­ar­bei­ter‹ die Dis­kurs­land­schaft des öffent­li­chen Lebens in der Bun­des­re­pu­blik kenn­zeich­nen, kom­me ich noch zurück – lei­der bleibt auch nach Wen­ge­ler die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Ras­sis­mus­for­schung Desi­de­rat. Inter­es­san­ter­wei­se grei­fen die ger­ma­nis­ti­sche Kolo­ni­al­lin­gu­is­tik und Mis­sio­nars­lin­gu­is­tik, obwohl the­ma­tisch und metho­disch nahe­lie­gend, die­ses Desi­de­ra­tum nicht auf. Spra­che und Kolo­nia­lis­mus (Schmidt-Brü­cken Dani­el et al. 2015 und Stol­z/­Warn­ke/­Schmidt-Brü­cken 2016a) wird im Bereich der ger­ma­nis­ti­schen Kolo­ni­al­lin­gu­is­tik auf den Deut­schen Kolo­nia­lis­mus von 1884–1919 ein­ge­schränkt – das scheint zunächst eine arbeits­prak­ti­sche Eng­füh­rung zu sein, auf den zwei­ten Blick könn­te dar­aus aber mög­li­cher­wei­se eine Kom­ple­xi­täts­re­duk­ti­on des euro­päi­schen Impe­ria­lis­mus und Kolo­nia­lis­mus fol­gen. Zwar wäre es, so die Ein­lei­tung der Her­aus­ge­ber zu Spra­che und Kolo­nia­lis­mus, Auf­ga­be eines dis­kurs­lin­gu­is­ti­schen Zugangs, »sprach­lich indi­zier­te[] Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten« und »die sprach­li­che Kon­sti­tu­ti­on von kolo­ni­sa­to­ri­schen Gewiss­hei­ten« (Stol­z/­Warn­ke/­Schmidt-Brü­cken 2016b, 21) zu rekon­stru­ie­ren. Mit der Beschrän­kung auf die Deut­schen Kolo­nien und die Deut­sche Kolo­ni­al­zeit erschei­nen aller­dings die Stu­di­en etwa von Schu­bert (2009), Waß­muth (2009) und Rie­se (2012) zum ›*Neger­bild‹ in aus­ge­wähl­ten Publi­ka­tio­nen eigen­tüm­lich abge­löst vom his­to­ri­schen Kon­text. Denn: Die Kon­sti­tu­ti­on des Kon­zep­tes ›Ras­se‹ und damit der Figu­ren des *Negers sind sehr viel frü­her zu ver­or­ten und im 17. und 18. Jahr­hun­dert bereits auch in deutsch­spra­chi­gen Quel­len, die ja Gegen­stand einer ger­ma­nis­ti­schen Kolo­ni­al- und Mis­sio­nars­lin­gu­is­tik sein könn­ten, nach­weis­bar. Da sich die pro­gram­ma­ti­sche Eng­füh­rung auf das Ende des lan­gen 19. Jahr­hun­derts erstreckt, wer­den die­se Quel­len, die man in der ger­ma­nis­ti­schen Kolo­ni­al­lin­gu­is­tik durch­aus bear­bei­ten könn­te, nicht gewür­digt. Das sei an einem Bei­spiel illus­triert: In Schulz (2016) wer­den Quel­len­grup­pen für ein Kor­pus »für kolo­ni­al­lin­gu­is­ti­sche Fra­gen für die Zeit von 1884 bis 1919« (Schulz 2016, 68) für mög­li­che Ana­ly­se­inter­es­sen zusam­men­ge­stellt (vgl. ebd., 69):

  • erklä­rungs­be­dürf­ti­ge Lexeme
  • Ent­leh­nun­gen
  • His­to­ris­men
  • Unter­su­chung stig­ma­ti­sie­ren­der Bezeich­nun­gen (Hate­speech)
  • Kol­lek­tiv­be­zeich­nun­gen mit ste­reo­ty­pen Zuschreibungen
  • Ana­ly­se ideo­lo­gi­scher Schlüs­sel­wör­ter kolo­nia­ler Dis­kur­se (dar­un­ter dann z.B. auch *Misch­ras­se und Ras­se)
  • Recher­che­er­geb­nis­se zu Antonympaaren

Hier zeich­net sich ein Ansatz ab, der vor allem auf der Wort­ebe­ne ope­riert und vor­nehm­lich lexi­ko­gra­phi­schen Inter­es­sen folgt. Dane­ben bezeich­net Schulz zu unter­su­chen­de Argu­men­ta­ti­ons­mus­ter, die hier im Zitat geben sind (ebd., 70):

  • »Der wil­li­ge *Neger ist der bes­te Freund des Menschen
  • Da Kame­le unter dem Kli­ma lei­den, wird als Trans­port­mit­tel auf den Ein­ge­bo­re­nen nicht ver­zich­tet wer­den können
  • Der Ein­ge­bo­re­ne ist wie ein Kind
  • Die ange­bo­re­ne Faul­heit des Eingeborenen
  • Der *Neger erkennt bedin­gungs­los die geis­ti­ge Über­le­gen­heit des Euro­pä­ers an«.

Aller­dings sind die von Schulz so bezeich­ne­ten Argu­men­ta­ti­ons­mus­ter letzt­lich eher voll lexi­ka­li­sier­te Instan­zen der­sel­ben – ein Bezug zur dis­kurs­lin­gu­is­ti­schen For­schung wird nicht her­ge­stellt. Ver­wun­der­lich ist, dass man über den ›wil­li­gen *Neger‹ spricht und gleich­zei­tig das kolo­nia­lis­ti­sche Ras­sis­mus­kon­zept nicht ope­ra­tio­na­li­siert oder dass man von einer homo­ge­nen Figur des *Negers aus­zu­ge­hen scheint – ursäch­lich dafür könn­te der enge Zuschnitt der Kolo­ni­al­lin­gu­is­tik sein. Was Schulz schließ­lich auf­zählt, sind Instan­zen von Topoi ras­sis­ti­schen Den­kens, eines Herr­schafts­ras­sis­mus’. Benennt man dies nicht so, setzt man sich mög­li­cher­wei­se dem Vor­wurf aus, Kolo­nia­lis­mus zu roman­ti­sie­ren, wie es etwas befremd­lich bei­na­he mit Hän­den u.a. in der His­to­ri­schen Ein­ord­nung im Band Spra­che und Kolo­nia­lis­mus von Speit­kamp (2016) zu grei­fen ist. Im Zuschnitt der Mis­sio­nars­lin­gu­is­tik, deren erklär­ter Gegen­stand im Wesent­li­chen die Kodi­fi­zie­rung frem­der Spra­chen durch Mis­sio­na­re und die Unter­su­chung der in die­sen Spra­chen abge­fass­ten Schrif­ten zur christ­li­chen Unter­wei­sung (Lied- und Bibel­tex­te, Kate­chis­men etc.; vgl. Zim­mer­man­n/Kel­ler­mei­er-Reh­bein 2015) ist, ist eben­falls kei­ne Pro­ble­ma­ti­sie­rung der Sys­tem­re­le­vanz der Mis­si­on für die Per­p­etu­ie­rung des euro­päi­schen Impe­ria­lis­mus auf der Basis eines euro­päi­schen Ras­sis­mus­kon­zep­tes zu erken­nen. Auch das ist ver­wun­der­lich, da sich Mis­si­on in der Selbst­dar­stel­lung zwar immer nur in eine beob­ach­ten­de Rol­le stellt, dabei aber gern über­sieht, dass sie mit der Ein­mi­schung in bru­ta­le Aus­beu­tungs­ver­hält­nis­se über lan­ge Jahr­hun­der­te Teil des Sys­tems wird.

Wen­gel­ers Arbei­ten zum Migra­ti­ons­dis­kurs zeig­ten deut­lich, wie man sich dem Kon­zept ›Ras­se‹ annä­hern kann. Es ist erstaun­lich, dass nach die­sem Fort­schritt in der Aus­ein­an­der­set­zung mit der eige­nen, furcht­ba­ren Geschich­te aus­ge­rech­net in einer Kolo­ni­al- und Mis­sio­nars­lin­gu­is­tik das Kon­zept ›Ras­se‹ nicht ope­ra­tio­na­li­siert wor­den ist, obwohl sie sich expli­zit auf die Arbei­ten Michel Fou­caults bezieht.

 

2. Operationalisierung des Konzeptes ›Rasse‹

Aus­gangs­punkt wird hier Fou­caults Ana­ly­tik der Macht sein, die sich aus ver­schie­de­nen Arbei­ten ent­wi­ckeln lässt, zu denen auch die Archäo­lo­gie des Wis­sens zählt. Im Mit­tel­punkt steht der Begriff des Dis­po­si­tivs, das Fou­cault bestimmt als »ein hete­ro­ge­nes Ensem­ble, das Dis­kur­se, Insti­tu­tio­nen, archi­tek­tu­ra­le Ein­rich­tun­gen, regle­men­tie­ren­de Ent­schei­dun­gen, Geset­ze, admi­nis­tra­ti­ve Maß­nah­men, wis­sen­schaft­li­che Aus­sa­gen, phi­lo­so­phi­sche, mora­li­sche oder phil­an­thro­pi­sche Lehr­sät­ze, kurz: Gesag­tes eben­so wohl wie Unge­sag­tes umfasst« (Fou­cault 1978, 119f.). Dar­aus folgt zum einen, dass es die Macht nicht gebe, son­dern dass man sie als Bezie­hungs­ge­fü­ge, als Dis­po­si­tiv, beschrei­ben muss (ebd., 126). Zum ande­ren kann man das dis­kur­si­ve Kon­strukt ›Ras­se‹ mit Fou­cault als ein Dis­po­si­tiv der Dis­zi­plin auf­fas­sen und aus sei­nen Arbei­ten zu Herr­schaft und Stra­fe ent­wi­ckeln. Zen­tra­le Ele­men­te des Dis­po­si­tivs sind Struk­tu­ren, die auf der einen Sei­te die Herr­schaft der zur Para­noia nei­gen­den Weni­gen gegen die Vie­len mit einem effi­zi­en­ten Sicher­heits- und Beob­ach­tungs­ap­pa­rat und einem aus­dif­fe­ren­zier­ten Sys­tem an Stra­fen und Beloh­nun­gen garan­tie­ren, und zum ande­ren das Sys­tem z.B. in Bil­dungs­pro­zes­sen zu legi­ti­mie­ren suchen. Spreen (2010) nennt die­se Gemein­schaf­ten und Gesell­schaf­ten nach Fou­cault ›Men­schen­füh­rungs­re­gimes‹. Die Plan­ta­ge ist die euro­pä­isch kul­tu­ra­li­sier­te Form der Unter­jo­chung, die durch das dis­kur­si­ve Kon­strukt ›Ras­se‹ ihre Legi­ti­ma­ti­on erfährt. Auf die­sen umkrei­sen sich Mäch­ti­ge und Ohn­mäch­ti­ge, Bewa­cher und Bewach­te. Sie sind auf Inseln gefäng­nis­ar­tig ein­ge­schlos­sen und leben in einem Kli­ma wach­sen­der, ins Hys­te­ri­sche drif­ten­der Angst, was, wie wir mit Blick auf phi­lo­so­phi­sche und sozio­lo­gi­sche For­schung sehen wer­den, ras­sis­ti­sches Den­ken kata­ly­sa­to­risch bestän­dig för­dert und perpetuiert.

Wesent­li­che Aspek­te der Foucault’schen Auf­fas­sung wer­den auch von Geor­ge M. Fred­rick­son2 und Mbem­be dis­ku­tiert. »Woll­ten wir eine knap­pe For­mu­lie­rung wagen, so könn­ten wir sagen, daß Ras­sis­mus vor­liegt, wenn eine eth­ni­sche Grup­pe oder ein his­to­ri­sches Kol­lek­tiv auf Grund­la­ge von Dif­fe­ren­zen, die sie für erb­lich oder unab­än­der­lich hält, eine ande­re Grup­pe beherrscht, aus­schließt oder zu eli­mi­nie­ren sucht« (Fred­rick­son 2011, 233). Die­se kur­ze For­mu­lie­rung ist vor­aus­set­zungs­reich. An ande­rer Stel­le ist Fred­rick­son expliziter:

Eine […] Grup­pen­zen­triert­heit mag zu Vor­ur­tei­len und zur Dis­kri­mi­nie­rung […] füh­ren […]; doch um hier mit Recht von Ras­sis­mus spre­chen zu kön­nen, müß­ten zwei zusätz­li­che Ele­men­te gege­ben sein. Eines davon ist die Über­zeu­gung, daß die Unter­schie­de zwi­schen den […] Grup­pen dau­er­haft und unaus­lösch­lich sind. Solan­ge Bekeh­rung oder Assi­mi­la­ti­on eine rea­le Mög­lich­keit dar­stel­len, haben wir es mit reli­giö­ser oder kul­tu­rel­ler Into­le­ranz, aber nicht mit Ras­sis­mus zu tun. Das zwei­te Ele­ment ist die poli­ti­sche und sozia­le Sei­te der Ideo­lo­gie – ihre Ver­knüp­fung mit der Aus­übung von Macht im Namen der Ras­se und mit den dar­aus resul­tie­ren­den Mus­tern von Herr­schaft oder Exklu­si­on (ebd., 232f.; Her­vor­he­bung von mir, A.L.).

Zen­tral für ras­sis­ti­sches Den­ken ist, dass zuge­wie­se­ne Eigen­schaf­ten als unver­än­der­bar, erb­lich kon­zep­tua­li­siert sind. Gegrün­det ist dies meist in der Xeno­pho­bie, wört­lich der Frem­den­angst. Das heißt, z.B. auf den Anti­se­mi­tis­mus bezo­gen, dass die­ser »zum […] Ras­sis­mus [wur­de], als sich die Über­le­gung durch­setz­te, Juden hät­ten nicht nur den fal­schen Glau­ben und fal­sche Ein­stel­lun­gen, son­dern sei­en ihrem gan­zen Wesen nach schlecht und böse« (ebd., 28). Die­se ras­sis­ti­sche Aus­schlie­ßung geht mit star­ken irra­tio­na­len Ängs­ten ein­her (vgl. ebd., 33). Assi­mi­la­ti­on des Frem­den ins Eige­ne wird dann als ech­te Alter­na­ti­ve aus­ge­schlos­sen. Wird sie, etwa durch Tau­fe, jedoch gewährt, dann schlägt Fred­rick­son vor, den Begriff ›Kul­tu­ra­lis­mus‹ zu gebrau­chen (ebd., 17). Wei­ter hebt Fred­rick­son für die­se Bestim­mung die in der sozio­lo­gi­schen For­schung übli­che Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Ras­sis­mus und Eth­no­zen­tris­mus auf, denn ob nun bio­lo­gi­sche oder kul­tu­rel­le Begrif­fe und Kon­zep­te zur Aus­gren­zung ande­rer führ­ten, lie­ße sich sei­ner Mei­nung nach vor allem in his­to­ri­schen Kon­tex­ten nicht immer sau­ber schei­den. Denn: »Kul­tur kann in einem sol­chen Maße ver­ding­licht oder essen­tia­li­siert wer­den, daß sie zum funk­tio­na­len Äqui­va­lent des Ras­sen­be­griffs wird« (ebd., 18).3

Mbem­be (2016) führt in der Kri­tik der schwar­zen Ver­nunft die Prä­mis­sen und Ergeb­nis­se der Ras­sis­mus­for­schung aus Sozio­lo­gie und Phi­lo­so­phie zusam­men und lässt sie in eine schar­fe Kapi­ta­lis­mus­kri­tik mün­den. Danach pro­du­zie­re die­ser »nicht nur Waren, son­dern auch ›Ras­sen‹ und ›Spe­zi­es‹. Ihm liegt ein ras­sis­ti­sches Den­ken, eine ›schwar­ze Ver­nunft‹ zugrun­de […]« (Mbem­be 2016, Klap­pen­text). Die Figur des *Negers wird als pro­to­ty­pi­sche Figur des west­li­chen Ras­sen­den­kens aus­ge­macht.4 Mit der Schwar­zen Ver­nunft ruft Mbe­me in der Tra­di­ti­on Fou­caults Gestal­ten des Wis­sens auf, benennt Aus­beu­tungs- und Aus­rau­bungs­mo­del­le und beschreibt Para­dig­men der Unter­wer­fung. Die Figur des *Negers als Pro­to­typ des west­li­chen Ras­sen­kon­zep­tes bestimmt er so (vgl. ebd., 30ff.): Die Figur des *Negers ist eine vor­mensch­li­che Gestalt, die in Ani­ma­li­tät und Sinn­lich­keit gefan­gen ist und im Gegen­satz zum Nor­mal­zu­stand der Gat­tung kei­ne Gestal­tungs­op­tio­nen weder für sich noch für sei­ne Umwelt hat. Damit steht sie als Ras­sen­sub­jekt in einem dege­ne­rier­ten Zustand und weist onto­lo­gi­sche Män­gel auf. Sie ist aus die­sem Grun­de hilfs- und schutz­be­dürf­tig; die Kolo­ni­sa­ti­on (und Aus­beu­tung) ist zivi­li­sa­to­ri­sches und huma­ni­tä­res Werk – Gewalt­aus­übung zur Errei­chung die­ser Zie­le mora­lisch gerecht­fer­tigt. »Auf dem gro­ßen Tableau der Gat­tun­gen und Arten, der Ras­sen und Klas­sen«, so Mbem­be, in die sich das west­li­che Den­ken ein­schließt, »steht der *Neger in sei­ner groß­ar­ti­gen Dun­kel­heit für die Syn­the­se [von Fos­sil und Mons­ter] [nach Fou­cault]. Den­noch exis­tiert der *Neger nicht als sol­cher, er wird bestän­dig pro­du­ziert« (ebd., 42f.). Was das heißt, fasst Mbem­be so zusam­men: »Den *Neger pro­du­zie­ren heißt ein sozia­les Band der Unter­wer­fung und einen Aus­beu­tungs­kör­per pro­du­zie­ren, also einen Kör­per, der ganz dem Wil­len eines Herrn unter­wor­fen ist und dem man ein Höchst­maß an Ren­ta­bi­li­tät abzu­pres­sen sucht« (ebd., 43). Ras­se ist zugleich eine Gestalt eines Aus­beu­tungs- wie eines Angst­kon­zep­tes, das Mbem­be im Zusam­men­hang mit der mas­sen­haf­ten Ver­skla­vung vom 15. bis 19. Jahr­hun­dert sieht – und damit der ers­ten Pha­se der con­di­tio nigra. Die Plan­ta­ge als Ort kapi­ta­lis­ti­scher Pro­duk­ti­on bezeich­net er als »para­no­ide Insti­tu­ti­on«, als Ort, an dem die Herr­schen­den bestän­dig in Angst mit dem »Gespenst der Aus­lö­schung« (ebd., 44) leben. Die schwar­ze Struk­tur der Welt, wie sie auf den kari­bi­schen Inseln im 18. Jahr­hun­dert sicht­bar wird, zeigt sich von ihren bei­den Sei­ten – furcht­bars­ter Unter­drü­ckung und furcht­bars­ter Angst im Zei­chen des Kapi­ta­lis­mus und der Signa­tur der Rasse.

Abb. 1: Dänisch West-Indi­en (um 1850), Aus­schnitt. Fritz Mel­bye. (https://es.wikipedia.org/wiki/Fritz_Melbye — /media/
File:Danish_West_India_-_Fritz_Melbye.jpg
, zuletzt abge­ru­fen am 22.06.19)

Vor dem Blick in aus­ge­wähl­te Quel­len ist es wich­tig, sich dar­über zu ver­stän­di­gen, wie ›Ras­se‹ als dis­kur­si­ves Kon­strukt, als Gestalt des Wis­sens auf­zu­fas­sen sei. Hier flie­ßen die bis­he­ri­gen Über­le­gun­gen zusam­men. Vor­aus­set­zung ras­sis­ti­schen Den­kens ist die Wahr­neh­mung des Ande­ren als Frem­den. Wich­ti­ge Kon­zep­tua­li­sie­run­gen ras­sis­ti­schen Den­kens sind dar­auf auf­bau­end zum einen die, dass die Supe­rio­ri­tät, also die (bio­lo­gi­sche, ästhe­ti­sche, mora­li­sche, ethi­sche, recht­li­che, öko­no­mi­sche, kul­tu­rel­le etc.) Über­le­gen­heit des Eige­nen, als nicht ver­gäng­lich kon­zep­tua­li­siert wird. Zum ande­ren wird das Frem­de als bedroh­lich cha­rak­te­ri­siert. Dabei spie­gelt sich eine über die Xeno­pho­bie hin­aus­rei­chen­de ANGST vor dem Frem­den nicht nur in Aus­sa­ge­kom­ple­xen und Bezeich­nungs­tra­di­tio­nen wider, son­dern auch dar­in, dass das schutz­be­dürf­ti­ge Eige­ne durch Prä­ven­tiv­maß­nah­men (SICHERHEIT) abge­schirmt und ein­ge­schlos­sen wird. Not­wen­di­ger­wei­se geht damit ein­her, dass das Frem­de aus­ge­schlos­sen wird. Dis­kur­siv wer­den dann die zwei Logi­ken des Ras­sis­mus ver­han­delt, die der Herr­schaft in Aus­beu­tungs­kon­tex­ten und die der Ver­nich­tung (vgl. nach Tagu­ieff so auch Fred­rick­son 2011). Schluss­end­lich stellt sich in der Dis­kurs­lin­gu­is­tik damit die Fra­ge: Wel­che sprach­li­chen Mecha­nis­men las­sen sich dis­kur­siv beschrei­ben, die die Eta­blie­rung eines Ras­se­sub­jek­tes anhand der genann­ten Kri­te­ri­en indi­zie­ren bzw. es stabilisieren?

Ich wer­de mich im Fol­gen­den auf die Kom­ple­xe ANGST und SICHERHEIT kon­zen­trie­ren, die in den vor­ge­stell­ten Ras­sis­mus­kon­zep­tio­nen eine maß­geb­li­che Rol­le spielten.

 

3. Der *Neger als Rassensubjekt in deutschsprachigen Quellen des 18. und 19. Jahrhunderts

Bei Mbem­be wur­de deut­lich, dass für die Kon­sti­tu­ti­on des euro­päi­schen Ras­sen­kon­zep­tes und ins­be­son­de­re die Figur des *Negers der trans­at­lan­ti­sche Skla­ven­han­del und ins­be­son­de­re die Plan­ta­gen der Kari­bik als Ele­men­te des Dis­po­si­tivs der Dis­zi­plin eine ent­schei­den­de Rol­le spie­len. Inter­es­san­ter­wei­se kön­nen uns deutsch­spra­chi­ge Quel­len die Kari­bik im 18. und 19. Jahr­hun­dert auf­schlie­ßen. Doch sie lie­gen nicht nur der For­schung vor, son­dern sind für ein gro­ßes deutsch­spra­chi­ges und, mit Über­set­zun­gen ins Eng­li­sche, ein euro­pä­isch-nord­ame­ri­ka­ni­sches Publi­kum im 18. und 19. Jahr­hun­dert zugäng­lich und in ent­spre­chen­de kom­mu­ni­ka­ti­ve Pra­xen ein­ge­bet­tet, die eine Ver­brei­tung sicher­stel­len. Die­se prä­gen die Figur des *Negers – und des *Busch­ne­gers in Suri­nam, des *India­ners in den sich kon­sti­tu­ie­ren­den Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka und des *Eski­mos auf dem däni­schen Grön­land – über 150 Jah­re maß­geb­lich, schon bevor man in Deutsch­land auf die aus heu­ti­ger Sicht wahn­wit­zi­ge Idee kommt, Kolo­nien ein­rich­ten zu müs­sen – gera­de die­se und nur die­se ste­hen aber im Fokus der ger­ma­nis­ti­sche Kolo­ni­al­lin­gu­is­tik, die damit den Erfah­rungsraum, in dem das Ras­sen­sub­jekt *Neger kon­sti­tu­iert wird, nicht in den Blick nimmt. Dabei stün­den sämt­li­che genu­in deutsch­spra­chi­ge Quel­len z.B. aus der Herrn­hu­t­i­schen Mis­si­on zur Ver­fü­gung (vgl. Lasch 2009), die für das The­ma ›Spra­che und Kolo­nia­lis­mus durch­aus rele­vant wären.

Abb. 2: Herrn­hu­t­i­sche Mis­si­on in der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts (Mora­vi­an Atlas 1853)

Die ger­ma­nis­ti­sche Kolo­ni­al­lin­gu­is­tik ver­fehlt aber auch die Erfah­rungszeit für die Kon­sti­tu­ti­on der Figur des *Negers maß­geb­lich. Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass ras­sis­ti­sche Kon­zep­te und Denk­fi­gu­ren in ihrer Schär­fe in einer Zeit geprägt wer­den, die vor dem Aboli­tio­nis­mus, der Skla­ven­be­frei­ung, liegt. Dis­kurs­lin­gu­is­tisch rele­vant ist, dass man Wis­sens­ele­men­te des epis­te­mo­lo­gisch-seman­ti­schen Kon­zepts Ras­se bzw. kon­kret der Figur des *Negers nur extra­hie­ren und sicht­bar­ma­chen kann, wenn man die Eta­blie­rung des Kon­zep­tes verfolgt.

Abb. 3: Deutsch­spra­chi­ge Mis­si­on, Aboli­tio­nis­mus und Deut­scher Kolo­nia­lis­mus (eige­ne Grafik)

Einer der frü­hes­ten nar­ra­ti­ven Ent­wür­fe aus der Kari­bik, der die Erfah­run­gen der ers­ten Mis­sio­na­re zusam­men­führt, ist Chris­ti­an Georg Andre­as Olden­dorps Geschich­te der west­in­di­schen Mis­si­on (1777). Er unter­nimmt, in Dar­stel­lun­gen zu die­ser Zeit nicht unüb­lich, eine so genann­te ›Völ­ker­schau‹ und ver­gleicht z.B. *Neger Afri­kas und der Kari­bik. Er ist, wie die Kapi­tel­über­schrif­ten nahe­le­gen, dabei dar­auf bedacht, ein mög­lichst umfas­sen­des Bild zu geben vom »äuße­ren Zustand und der Ein­rich­tung der *Neger in West­in­di­en«, »ihren Geschäf­ten und ihrer Behand­lung«, »den Rech­ten der Her­ren über ihre Skla­ven«, dem »Ent­lau­fen, Empö­run­gen und Los­kau­fen«, ihrer »Bil­dung, Far­be, Frucht­bar­keit und Krank­hei­ten«, dem »mora­li­schen Cha­rak­ter und Fähig­kei­ten«, das mit dem Satz ein­ge­lei­tet wird: »der sitt­li­che Cha­rak­ter der heid­ni­schen *Neger [ist] größ­tent­heils sehr schlecht« (Olden­dorp 1777, 411); »bey den meis­ten von ihnen beh[ä]lt doch, solan­ge sie nicht dem Evan­ge­lio gehor­sam wer­den, die Nei­gung zum B[ö]sen die Ober­hand, und wird nur durch den Man­gel der Gele­gen­heit und der Macht in ihren Ausbr[ü]chen beschr[ä]nkt« (ebd., 381). Wei­ter the­ma­ti­siert er die »creo­li­sche Spra­che«, und schließ­lich »Gebräu­che und Gewohn­hei­ten der *Neger in West­in­di­en« (Kapi­tel­über­schrif­ten in Olden­dorp 1777). Wer sich ein umfas­sen­des Bild davon machen will, was man in Euro­pa vom *Neger im 18. und 19. Jahr­hun­dert wis­sen kann, darf sich bei Olden­dorp einen umfas­sen­den Ein­druck ver­schaf­fen. Aber nicht nur da: Flan­kiert wer­den sol­che Über­blicks­dar­stel­lun­gen von einer Flut an Herrn­hu­t­i­schen Missions‑, Rei­se- und Cor­re­spon­denz­be­rich­ten aus allen Tei­len der Welt, die auf Deutsch ver­fasst, in Deutsch­land gedruckt, ver­kauft und gele­sen und schließ­lich ins Eng­li­sche über­setzt werden.

Ich wer­de mich im Fol­gen­den auf die anfangs erwähn­ten Kon­zep­te ANGST und SICHERHEIT kon­zen­trie­ren, die maß­geb­lich zur dis­kur­si­ven Kon­sti­tu­ti­on eines Ras­se­sub­jek­tes, wie sie uns in der Figur des *Negers gegen­über­steht, bei­tra­gen. Olden­dorp skiz­ziert näm­lich die Grund­kon­stel­la­ti­on, die, über ANGST und GEFAHR auf der einen Sei­te, SICHERHEIT und PRÄVENTION auf der ande­ren Sei­te, dem Kon­zept Ras­se und der Figur des *Negers ein­ge­schrie­ben wird.

Da bey der gros­sen Men­ge der *Neger, ihrer vorz[ü]glichen Leibesst[ä]rke, und ihrer gr[ö]stentheils schlech­ten Denk­wei­se, die Frey­heit und das Leben der *Blan­ken in einer sehr schein­ba­ren Gefahr ist; so sind die den *Negern vor­ge­schrie­be­nen Geset­ze vorz[ü]glich dahin gerich­tet, ihnen jede Ver­an­las­sung, ja selbst die Nei­gung zu beneh­men, die *Blan­ken auf irgend eine Wei­se zu sch[ä]digen (ebd., 388f.).

Dass der *Neger ›zum Bösen nei­ge‹, ist eines der basa­len Merk­ma­le des dis­kur­siv ent­wi­ckel­ten Ras­se­sub­jek­tes. Dies und die schie­re kör­per­li­che wie zah­len­mä­ßi­ge Über­le­gen­heit lässt die *Blan­ken immer um ihr nack­tes Über­le­ben fürch­ten – Olden­dorp ver­wen­det den Begriff ›*Blan­ke‹ für die euro­päi­sche Min­der­heit in der Kari­bik. Er ist aus heu­ti­ger Sicht nicht weni­ger pro­ble­ma­tisch. Er geht davon aus, dass z.B. auf der klei­nen Insel St. Croix 2.000 *Blan­ke ver­such­ten, 20.000 *Neger durch ein Sys­tem von Beob­ach­tung, Bewa­chung, Stra­fe im Griff zu hal­ten und durch Mis­sio­nie­rung zu domes­ti­zie­ren, denn »[e]s ist immer Grund vor­han­den, von gezwun­ge­nen Scla­ven zu ver­mu­then, daß sie auf die Erlan­gung der Frey­heit bedacht sind« (ebd., 390). Plan­ta­gen­wirt­schaft und Mis­si­on dür­fen nicht los­ge­löst von­ein­an­der beschrie­ben wer­den, son­dern es han­delt sich um Ele­men­te eines Dis­po­si­tivs, auch wenn Olden­dorp einen ande­ren Ein­druck ver­mit­teln möch­te: Er nimmt durch den Gebrauch des Begriffs *Blan­ke (selbst als *Blan­ker) eine distan­zier­te Posi­ti­on ein, wie sie typisch ist für die Vor­stel­lung, dass die Mis­si­on nicht Teil des aus­beu­te­ri­schen Sys­tems gewe­sen sei (und für die­se Hal­tung muss sich im 19. und 20. Jahr­hun­dert nicht nur die Äuße­re, son­dern auch die Inne­re Mis­si­on zurecht immer wie­der recht­fer­ti­gen) – die­se Selbst­dar­stel­lung ist aller­dings mit Vor­sicht zu genie­ßen, denn auch die Herrn­hu­ter unter­hiel­ten selbst Plan­ta­gen. Ich wer­de noch dar­auf zurückkommen.

Die Grün­dungs­ge­walt die­ser Kon­zep­ti­on von Ras­se und der Figur des *Negers ist in Auf­stän­den wie auf St. Jan 1733 zu suchen. Hier gelingt es den Skla­ven, sich zu befrei­en – sie machen in einem Gewalt­ex­zess bei­na­he alle *Blan­ken nieder:

Solan­ge die Aufr[ü]hrer Meis­ter von der Insel [sc. St. Jan, 1733] waren; so [ü]bten sie alle die bar­ba­ri­schen Kriegs­rech­te aus, wozu ein erbit­ter­ter Feind in einem erober­ten Lan­de berech­tigt zu seyn glau­bet. Sie raub­ten, sie seng­ten, brenn­ten, zerst[ö]rten, und leb­ten im Ueber­fluß, ohne auf die n[ö]thigen Anstal­ten zur Behaup­tung ihrer Erobe­rung zu den­ken. Vern[ü]nftige Ueber­le­gung hat­te an ihrem gan­zen Unter­neh­men kei­nen Ant­heil gehabt; und kein Ver­stand h[ä]tte auch zu ihrer Vert­hei­di­gung zuge­reicht (ebd., 399f.).

Erst durch das Ein­grei­fen der fran­zö­si­schen Mari­ne kann der Auf­ruhr 1734 been­det wer­den. Durch Erfah­run­gen wie die­se, Wis­sen über das angeb­lich durch­weg böse Wesen des *Negers und die wohl rich­ti­ge Annah­me, dass es immer einen Grund gibt zu ver­mu­ten, dass Skla­ven ihre Frei­heit nicht nur durch ›Ent­lau­fen‹, son­dern auch durch ›Empö­rung‹ suchen, hat sich über die Jahr­zehn­te ein Sys­tem ein­ge­spielt, wel­ches Stra­fe und Beloh­nung fein justiert:

Der las­ter­haf­te Cha­rak­ter der meis­ten heid­ni­schen *Neger, und ihre Men­ge, hat in die Stra­fen der­sel­ben eine H[ä]rte gebracht, die mit der Gr[ö]sse ihrer Ver­ge­hun­gen dem Anschein nach nicht immer in geh[ö]rigem Verh[ä]ltnis ste­het. Aber durch nichts, als durch die Furcht vor einer so unaus­bleib­li­chen als schar­fen Stra­fe l[ä]ßt sich die­ses unge­sit­te­te Volk von der Aus[ü]bung sei­ner las­ter­haf­ten Nei­gun­gen abhal­ten. (Olden­dorp 1777, 388)

Dabei zie­len erschre­ckend har­te Stra­fen auf die Auf­recht­erhal­tung und Stei­ge­rung der ANGST der Unter­joch­ten. Stra­fe ist Prä­ven­ti­on, mora­lisch gerecht­fer­tigt und dient der eige­nen SICHERHEIT, die ihrer­seits auf einer Angst vor den Unter­joch­ten fußt, die stets ins Para­no­ide zu kip­pen droht, wie ein Bericht von der Nach­bar­insel Jamai­ka – die unhalt­ba­ren Zustän­de, die dort herr­schen, wer­den im Ver­ei­nig­ten König­reich dazu füh­ren, öffent­lich über die Kolo­ni­al­po­li­tik zu debat­tie­ren und schließ­lich den Aboli­tio­nis­mus ein­zu­lei­ten – eini­ge Jah­re spä­ter zeigt:

Schon in der ers­ten Hälf­te des Monats [sc. Mai 1816] hat­ten wir durch die nächt­li­chen Zusam­men­künf­te der *Neger Ver­dacht geschöpft, daß sie einen Auf­stand vor­ha­ben möch­ten, und gehö­ri­gen Ortes Anzei­ge davon gethan; es ließ sich aber nichts Gewis­ses her­aus­brin­gen, da die Trei­ber mit den *Negern ein­ver­stan­den waren, und von den Zusam­men­künf­ten nichts gemerkt haben woll­ten. In den letz­ten Tagen des Monats erfuhr ich nun, daß die Bür­ger­mi­liz an ihre Pos­ten beor­dert wor­den sey, weil wirk­li­che Spu­ren des Auf­ruhrs in die­sem und dem benach­bar­ten Kirch­spiel wahr­ge­nom­men wür­den. (Bericht von Jamai­ka 1816–1818. In: Lasch 2009, 174f.)

Die Ein­gren­zung der Gewalt durch die *Blan­ken hat also, schon bei Olden­dorp, nur zwei Grün­de: Zum einen wer­den sie durch »unm[ä]ßige H[ä]rte […] zu ver­zwei­fel­ten Ent­schlies­sun­gen gebracht; durch jene aber k[ö]nnen sie in sch[ä]dliche Aus­schwei­fun­gen gera­then, so daß sie schwer wie­der in Ord­nung und Gehor­sam zu brin­gen sind: denn sie d[ü]nken sich sehr leicht selbst Her­ren zu seyn, sobald sie ihr Joch nicht nachdr[ü]cklich f[ü]hlen« (Olden­dorp 1777, 385). Zum ande­ren ist »[u]nstreitig […] jedem Herrn an der Erhal­tung sei­ner Scla­ven sehr viel gele­gen; sie sind sein Reicht­hum […]« (ebd., 383). Neben der Gewalt­aus­übung ist ein wei­te­res Mit­tel die­ses Dis­po­si­tivs der Dis­zi­plin, zu tau­fen und zu pre­di­gen: »Es ist mir genug, zu sagen, daß die Reli­gi­on unsers Hei­lands Jesu Chris­ti den christ­li­chen Scla­ven ihre Pflich­ten gegen ihre Her­ren aufs deut­lichs­te, nachdr[ü]cklichste und vollst[ä]ndigste vor­schrei­bet, und die­sel­ben aus Bewegungsgr[ü]nden her­lei­tet, die von dem Cha­rak­ter des Herrn, und des­sen h[ä]rterem oder g[ü]tigerm Betra­gen gegen sei­ne Leib­ei­ge­ne, unabh[ä]ngig sind« (ebd., 385). Ziel ist aber für die Plan­ta­gen­herr­schaft, die die Mis­si­on nur unter die­sen Bedin­gun­gen dul­det, mit Fred­rick­son im Hin­blick auf den Unter­schied zwi­schen Kul­tu­ra­lis­mus und Ras­sis­mus nicht, durch Tau­fe Assi­mi­la­ti­on anzu­stre­ben, son­dern ein wei­te­res Kon­troll­in­stru­ment in den Hän­den zu hal­ten, wie die­ses Bei­spiel aus einem ande­ren Mis­si­ons­be­richt zeigt:

In den letz­ten Tagen des April [sc. 1816] erreg­ten Nach­rich­ten von dem auf Bar­ba­dos aus­ge­bro­che­nen *Neger=Aufruhr unter den *Wei­ßen die­ser Insel viel Schre­cken. Die Miliz wur­de zusam­men beru­fen, und die Insel in Kriegs­land erkl[ä]rt. Da wir aber unter den *Negern uns­rer Insel nicht die min­des­te Spur von rebel­li­schen Absich­ten wahr­nah­men, so glaub­ten wir zuver­sicht­lich, daß unser Herr uns in Ruhe und Frie­den erhal­ten m[ö]ge. (Bericht von Anti­gua 1816. In: Lasch 2009, 166).

Aller­dings – und auch das sei deut­lich her­aus­ge­stellt – ist die Herrn­hu­t­i­sche Auf­fas­sung eine ande­re. Im Selbst­ver­ständ­nis der Gemein­schaft wird frei­lich nicht getauft, um das ras­sis­ti­sche Sys­tem der Unter­jo­chung zu stüt­zen, son­dern um kul­tu­rell zu assi­mi­lie­ren (vgl. dazu oben die zitier­ten Aus­füh­run­gen von Fred­rick­son). Dass die­ses ambi­va­len­te Ver­hält­nis durch­aus zu kul­tu­rell hybri­den For­men führt, lässt sich ein­drucks­voll an einem beson­de­ren Bei­spiel illus­trie­ren. Rebec­ca (1720–1780), eine frei­ge­las­se­ne Skla­vin, stand im Mit­tel­punkt einer Chris­tia­ni­sie­rungs­be­we­gung auf St. Tho­mas. 1736 kamen die Herrn­hu­ter Fried­rich Mar­tin und Mat­thä­us Freund­lich nach St. Tho­mas, um eine Mis­si­on zu begin­nen – Freund­lich hei­ra­te­te Rebec­ca 1738. Als ob dies nicht bemer­kens­wert genug sei, so erwar­ben die Freund­lichs nicht nur Grund­be­sitz und Plan­ta­gen, son­dern selbst auch Skla­ven für ihre Plan­ta­gen­wirt­schaft auf dem Gut Posau­nen­berg. Spä­ter führt sie ihr Weg nach Euro­pa; nach dem Tod ihres Man­nes hei­ra­tet sie 1746 (den halb­afri­ka­ni­schen) Chris­ti­an Prot­ten und folg­te die­sem 1763 in die süd­afri­ka­ni­sche Mis­si­on Chris­ti­ans­borg (vgl. dazu aus­führ­lichst die Aus­füh­run­gen bei Olden­dorp 1777, 531ff. und kon­den­sier­ter den Bei­trag von Tabea Muß­gnug unter: http://frauen-und-reformation.de/?s=bio&id=129, zuletzt abge­ru­fen am 09.05.2019).

Erar­bei­tet man Mis­si­ons­be­rich­te wie die­se, dann sind nicht nur posi­ti­vis­tisch gepräg­te Erfas­sun­gen des Lexems oder Stig­ma­wor­tes *Neger von Bedeu­tung und auch nicht aus­schließ­lich expli­zi­te Her­vor­he­bun­gen von Gewalt­aus­brü­chen, die das gesam­te Repres­si­ons­in­stru­men­ta­ri­um der in Angst und Schre­cken ver­setz­ten *Blan­ken in Bewe­gung set­zen. Man hat auch Aus­sa­gen­kom­ple­xe zu berück­sich­ti­gen, die ober­fläch­lich nicht die­sem Kom­plex und dis­kur­si­ven Kon­strukt zuzu­ge­hö­ren zu scheinen:

Uns­re in der Stadt woh­nen­den Mit­ar­bei­ter waren vor eine Comit­tee der Regierungs=Beh[ö]=rden gela­den wor­den, und hat­ten von der­sel­ben die Anzei­ge erhal­ten, daß die Regie­rung der Insel, [ü]berzeugt von dem Nut­zen der Arbeit der Br[ü]der unter den hie­si­gen *Negern, den Wunsch hege, daß wir die­se Arbeit auch auf and­re Thei­le der Insel [aus­deh­nen]; zu wel­chem Zweck sie uns ein St[ü]ck Land geben und auch mit Geld aus der Lan­de­schatz­kam­mer unterst[ü]tzen wol­le. (Bericht von Anti­gua 1816. In: Lasch 2009, 170f.)

Sie sind Aus­drü­cke und Aus­sa­gen­kom­ple­xe von Prä­ven­tiv- und Sicher­heits­maß­nah­men einer ins Hys­te­ri­sche gestei­ger­ten Angst vor den Unter­joch­ten. Beson­ders deut­lich wird das im letz­ten Bei­spiel, eben­falls von Anti­gua, mit wel­chem ich die­se Rei­he schlie­ßen möch­te – die­ses kann nur in einer dis­kurs­prag­ma­ti­schen Unter­su­chung dem dis­kur­si­ven Kon­strukt ›Ras­se‹ bzw. Figur des *Negers zuge­ord­net und ver­stan­den wer­den: »Er ließ sei­ne Leu­te zu einer Ver­samm­lung von den Fel­dern rufen, und ver­si­cher­te mich, daß wir immer auf sei­ner Plan­ta­ge herz­lich will­kom­men seyn w[ü]rden […]« (Bericht von Anti­gua 1816. In: Lasch 2009, 166). Denn hier zielt man nicht auf die Gleich­heit des Men­schen vor Gott und die dar­aus abzu­lei­ten­de Ableh­nung der Skla­ve­rei, son­dern auf die Domes­ti­zie­rung als Ele­ment des Dis­po­si­tivs der Dis­zi­plin – die­se geht zwar nicht von der Mis­si­on aus, aber als stil­le Beob­ach­te­rin, wie das Selbst­bild sug­ge­riert, darf sie nicht bewer­tet wer­den, wie u.a. das Bei­spiel Rebec­ca Prot­ten zeigt.

 

4. Fazit

Ent­wi­ckelt man das Kon­zept ›Ras­se‹ dis­kur­siv, dann darf man ver­mu­ten, dass die Figur des *Negers nur eine der Figu­ren ist, die ras­sis­ti­sches Den­ken mar­kie­ren kön­nen. Des­halb beto­nen sowohl Fred­rick­son als auch Mbem­be, dass wir heu­te in einer Zeit leben, in der Kul­tu­ra­lis­mus bzw. Eth­no­zen­tris­mus in Ras­sis­mus abdrif­ten kön­nen. Dabei spie­len ein­zel­ne kon­sti­tu­ie­ren­de Ele­men­te der dis­kur­si­ven Kon­struk­ti­on ›Ras­se‹ eine ent­schei­den­de Rol­le: ANGST und SICHERHEIT. Es war mir nicht Anlie­gen zu pos­tu­lie­ren, dass jede For­mu­lie­rung eines Aus­drucks, der sich den Kon­zep­ten ANGST oder SICHERHEIT zuord­nen lie­ße, bereits auf das Kon­zept RASSE ver­wie­se. Aber ich möch­te pos­tu­lie­ren, dass man nicht nur den har­ten, eth­nisch-bio­lo­gi­schen Ras­sis­mus, den es immer geben wird, im Blick behal­ten muss, wenn man heu­te bspw. über die Neu­be­le­bung ras­sis­ti­schen Den­kens spre­chen möch­te, son­dern auch dis­kur­si­ve Ent­wick­lun­gen ernst nimmt, die sich durch eine Schlei­fe hys­te­ri­scher und ins Para­no­ide gestei­ger­te Angst aus­zeich­nen und damit Indi­zi­en dafür bie­ten, dass man sich in ras­sis­ti­sches Den­ken ein­ge­wöh­nen kann – das heu­ti­ge tages­ak­tu­el­le Gere­de von der ›Ein­wan­de­rung in Sozi­al­sys­te­me‹ lie­fert dafür ein Bei­spiel. Denn, wie man mit Fred­rick­son ler­nen kann: Die Gren­zen zwi­schen Kul­tu­ra­lis­mus und Ras­sis­mus sind flie­ßend. Und die zwei­te Leh­re ist: Wir haben heu­te in einer säku­la­ren Kul­tur kei­nen funk­tio­nie­ren­den Assi­mi­la­ti­ons­me­cha­nis­mus mehr, der eine sich kon­sti­tu­ie­ren­de Spi­ra­le von Angst und Gewalt durch­bre­chen könn­te. Uns steht bspw. nicht mehr das Mit­tel der Tau­fe oder des Bekennt­nis­ses zur Ver­fü­gung, wel­ches in einer vor­mo­der­nen Welt aus­reich­te, um Aus­ge­grenz­te zu assi­mi­lie­ren. Wei­ter und ganz kon­kret könn­te hilf­reich sein, dass man Kolo­nia­lis­mus, Skla­ven­han­del, Kapi­ta­lis­mus und christ­li­che Mis­si­on nicht als natio­nal­staat­li­che Ein­zel­pro­jek­te begreift, son­dern aner­kennt, dass man es hier mit einem glo­ba­len Sys­tem unter der Signa­tur der Ras­se im Ange­sicht der Figur des *Negers zu tun bekommt, in dem der Deut­sche Kolo­nia­lis­mus nur eine mar­gi­na­le Rol­le spiel­te, wes­halb die Aus­ein­an­der­set­zung mit Exklu­si­on nur an Quel­len aus dem spä­ten 19. Jahr­hun­dert mög­li­cher­wei­se eine erneu­te Aus­gren­zung – nur auf einer ande­ren Ebe­ne – bedeu­ten kann und damit eine neue Gren­ze gezo­gen würde.

 

Literatur

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Online-Quellen

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1 In der Fol­ge wer­den auch Zita­te ande­rer die­ser Rege­lung ohne beson­de­re Kenn­zeich­nung unterworfen.

2 In die­sem Bei­trag wer­den mich weni­ger die Her­lei­tung und his­to­ri­sche Begrün­dung der »bei­den hart­nä­ckigs­ten und nie­der­träch­tigs­ten Erschei­nungs­wei­sen« des Ras­sis­mus (Fred­rick­son 2011, 135), näm­lich die Ideo­lo­gie der Über­le­gen­heit der Wei­ßen in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten und der Anti­se­mi­tis­mus im Drit­ten Reich, inter­es­sie­ren, son­dern aus­schließ­lich Fred­rick­sons Kon­zept von ›Ras­se‹.

3 Auch die Dif­fe­ren­zie­rungs­leis­tun­gen von Appiah zwi­schen racism und racia­lism, um For­men der Unter­wer­fung und Aus­beu­tung auf der einen und ein Den­ken in Ras­sen­ka­te­go­rien auf der ande­ren Sei­te von­ein­an­der zu schei­den, und die die Dif­fe­ren­zie­rung der »Logi­ken des Ras­sis­mus« zwi­schen Herr­schafts­ras­sis­mus und Ver­nich­tungs­ras­sis­mus nach Tagu­ieff sind in der knap­pen Bestim­mung Fred­rick­sons (2011) aufgehoben.

4 Sei­ne The­se, dass die con­di­tio nigra im Neo­li­be­ra­lis­mus auf die gan­ze Mensch­heit über­tra­gen wird, wird in die­sem Bei­trag zwar kei­ne wei­te­re Rol­le spie­len, wäre aber alle­mal in Fra­ge­stel­lun­gen zum Zusam­men­hang von Angst und Aus­beu­tung wie­der aufzunehmen.