»Die Welt wird schwarz«.
Über das diskursiv konstruierte Konzept ›Rasse‹ als Gegenstand
einer Diskurspragmatik
Alexander Lasch
Eines der schärfsten Konzepte der Kategorisierung, der Inklusion und Exklusion, sprich, der Grenzziehung, ist das diskursive Konzept der ›Rasse‹, welches in diesem Beitrag im erweiterten Kontext einer Kolonial- und Missionarslinguistik diskutiert werden soll. Vorausgeschickt sei, dass in diesem Artikel Begriffe verwendet werden, die zweifelsohne als rassistisch einzustufen sind. Sie werden zum einen zur kritischen Distanzierung mit Asterisk markiert – so werden sie visuell nicht vor dem Text herausgehoben, aber dennoch in ihrem Status ausgezeichnet.1 Zum anderen wird in diesem Beitrag die analytische Qualität eben dieser Begriffe eine Rolle spielen.
Wenn Achille Mbembe vom *Neger spricht, ohne das rassistische Konzept als solches zu markieren, ist das in der aktuellen Diskurslandschaft als eine unerhörte Grenzverletzung zu bewerten. Ein solcher gegen die Formulierungskonventionen gewählter Auftakt soll hier, wie bei Mbembe, der Ausgangspunkt sein, um von Mbembes Kritik der schwarzen Vernunft aus über das Konzept ›Rasse‹ als Gegenstand diskurspragmatischer Studien nachzudenken. Denn die Figur des *Negers, so wie sie bei Mbembe entworfen und auch hier verstanden wird, ist das prototypische in der europäischen Tradition konstituierte Rassen- als Ausgrenzungssubjekt. Es zu benennen, beschämt die Unterjochenden, indem bei jeder Nennung dem europäischen Imperialismus der Spiegel vorgehalten wird. Jemanden so zu benennen, ist rassistisch. »Schwarz geboren, zum *Neger gemacht« ist die Formel, auf die Jonas Hampl (2013) in der ZEIT in einem Leserbrief eben diese Praxis bringt. In dieser Differenzierung wird der Begriff hier ausschließlich gebraucht.
Die Figur des *Negers ist eine, zu der niemand gemacht werden möchte. Die Reduktion auf die Hautfarbe macht den *Neger zur idealen Figur rassistischen Denkens. Reden wir von ihr, dann referieren wir zum einen auf etwas, das in unserer Geschichte über lange Jahrhunderte schillernd die Sehnsucht nach einem exotischen, ursprünglichen und echten, wahren, zivilisatorisch noch nicht überformten Leben markieren mag, zum anderen aber für brutale und bittere Versklavung und Ausnutzung zu ökonomischen Zwecken von Menschen auf der anderen Seite steht. Lenkt man den Fokus auf dieses Konstrukt, löst man in westlichen Diskurstraditionen »leidenschaftliche Dynamiken und ein Übermaß an Irrationalität« aus (Mbembe 2016).
Der Ausgangsfrage ›Was ist Rassismus‹ nähere ich mich über verschiedene Forschungsperspektiven im Dialog, um zu illustrieren, dass in der sprachwissenschaftlichen Forschung dem Konzept ›Rasse‹ sehr zurückhaltend begegnet wird. In eigene Überlegungen an einem historischen Beispiel leite ich über ausgehend von der Hypothese, dass Rasse als diskursives Konstrukt aufzufassen sei. Kern dieses Konstruktes sind verschiedene Konzeptualisierungen, die ich deduktiv (aber nicht exhaustiv) aus der soziologischen und philosophischen Forschung zum Rassismus ableiten werde und an historischen Texten, die ihren Ursprung im späten 18. Jahrhundert und frühen 19. Jahrhundert auf den karibischen Inseln – aus europäischer Perspektive als ›Westindien‹ konzeptualisiert – haben, zum Ziele der Operationalisierung des Begriffs nachweisen möchte. In diesen historischen Beispielen sind verschiedene Mechanismen zur sozialstratifikatorischen Grenzziehung zu beobachten, die geeignet sind, das Eigene vom Fremden sprachlich abzugrenzen, es zu exkludieren. In einem weiteren Schritt werde ich mich für rassistisches Denken basalen Konzepten zuwenden. Diese sedimentieren im Sprachgebrauch als kollektive Denkmuster, die auch heute noch die Vorstufen rassistischen Denkens anzeigen können.
1. ›Rasse‹ und ›Rassismus‹ als Konzepte in der sprachwissenschaftlichen Forschung
Die Mechanismen der Exklusion des ›Fremden‹ sind in vielen Forschungsfeldern der Sprach- und Literaturwissenschaften Gegenstand, ohne aber dabei das Konzept ›Rasse‹ zu explizieren geschweige denn zu operationalisieren. Das möchte ich im Folgenden an wenigen Schlaglichtern zeigen.
In den letzten Jahren sind einige, vornehmlich strukturalistisch-lexikographische Arbeiten erschienen, die sich mit Fremdheit und Ausgrenzung des Fremden beschäftigen und Gelegenheit geboten hätten, das Konzept ›Rasse‹ zu thematisieren. Exemplarisch möchte ich Die Sprache der Judenfeindschaft in der Frühen Neuzeit (2005) von Nicoline Hortzitz und die Sprachliche Ausgrenzung im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit (2016) von Anja Lobenstein-Reichmann herausgreifen. Erstere kommt aber zu dem wichtigen Ergebnis, dass man in der Frühen Neuzeit und in Bezug auf die Judenfeindschaft nicht von Rassismus sprechen könne – ich werde an späterer Stelle im Kontext soziologischer Rassismusforschung noch einmal auf diese Einschätzung zu sprechen kommen. Arbeitspraktisch ist sie in ihrer (positivistisch) lexikographischen Ausrichtung und der Konzentration auf die Wortebene limitiert. Für meine Überlegungen ist relevant, dass sie das Konzept des Rassismus im Kontext ihrer Arbeit überhaupt benennt. Zu gleichem Ergebnis kommt auch Lobenstein-Reichmann in ihrer Studie mit dem Programm, eine ›Pragmagrammatik‹ und ›Pragmasemantik‹ ausgrenzenden Sprechens entwerfen zu wollen; aber eher implizit. Die Arbeit reicht sehr viel weiter als die von Hortzitz, aber auch hier werden, wohl der historischen Spezifität geschuldet, Rassismuskonzepte aus Philosophie und Soziologie weder benannt noch reflektiert – so kommt bspw. der Begriff ›Rasse‹ nur ein einziges Mal in der Publikation vor, nämlich dann, wenn über eines der Stigmata Erving Goffmans gesprochen wird. Der lexikographische Ansatz Lobenstein-Reichmanns bietet indes viele Anknüpfungspunkte für die erneute Aufnahme in diskurslinguistische Arbeiten. Diese zielen in Tradition Foucaults aber nicht nur auf das Gesagte (und mithin Gewusste), das sich in einer Archäologie des Wissens freilegen lässt, sondern auch auf das Nichtgesagte. Dieser Prämisse verpflichtet sind u.a. die Arbeiten von Martin Wengeler (vgl. exemplarisch 2003). Er geht nach Dietrich Busse davon aus, dass Wissen nicht nur in Sprache sedimentiere, sondern Sprache auch Wissen konstituiere. Wengeler ist es Anliegen, Topoi als Argumentationsmuster zu identifizieren, die ein Verhältnis zu Fremdheit zum Thema haben. Auf einige der sorgfältig herausgearbeiteten Topoi, die im Sprechen über so genannte ›Gastarbeiter‹ die Diskurslandschaft des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik kennzeichnen, komme ich noch zurück – leider bleibt auch nach Wengeler die Auseinandersetzung mit der Rassismusforschung Desiderat. Interessanterweise greifen die germanistische Koloniallinguistik und Missionarslinguistik, obwohl thematisch und methodisch naheliegend, dieses Desideratum nicht auf. Sprache und Kolonialismus (Schmidt-Brücken Daniel et al. 2015 und Stolz/Warnke/Schmidt-Brücken 2016a) wird im Bereich der germanistischen Koloniallinguistik auf den Deutschen Kolonialismus von 1884–1919 eingeschränkt – das scheint zunächst eine arbeitspraktische Engführung zu sein, auf den zweiten Blick könnte daraus aber möglicherweise eine Komplexitätsreduktion des europäischen Imperialismus und Kolonialismus folgen. Zwar wäre es, so die Einleitung der Herausgeber zu Sprache und Kolonialismus, Aufgabe eines diskurslinguistischen Zugangs, »sprachlich indizierte[] Selbstverständlichkeiten« und »die sprachliche Konstitution von kolonisatorischen Gewissheiten« (Stolz/Warnke/Schmidt-Brücken 2016b, 21) zu rekonstruieren. Mit der Beschränkung auf die Deutschen Kolonien und die Deutsche Kolonialzeit erscheinen allerdings die Studien etwa von Schubert (2009), Waßmuth (2009) und Riese (2012) zum ›*Negerbild‹ in ausgewählten Publikationen eigentümlich abgelöst vom historischen Kontext. Denn: Die Konstitution des Konzeptes ›Rasse‹ und damit der Figuren des *Negers sind sehr viel früher zu verorten und im 17. und 18. Jahrhundert bereits auch in deutschsprachigen Quellen, die ja Gegenstand einer germanistischen Kolonial- und Missionarslinguistik sein könnten, nachweisbar. Da sich die programmatische Engführung auf das Ende des langen 19. Jahrhunderts erstreckt, werden diese Quellen, die man in der germanistischen Koloniallinguistik durchaus bearbeiten könnte, nicht gewürdigt. Das sei an einem Beispiel illustriert: In Schulz (2016) werden Quellengruppen für ein Korpus »für koloniallinguistische Fragen für die Zeit von 1884 bis 1919« (Schulz 2016, 68) für mögliche Analyseinteressen zusammengestellt (vgl. ebd., 69):
- erklärungsbedürftige Lexeme
- Entlehnungen
- Historismen
- Untersuchung stigmatisierender Bezeichnungen (Hatespeech)
- Kollektivbezeichnungen mit stereotypen Zuschreibungen
- Analyse ideologischer Schlüsselwörter kolonialer Diskurse (darunter dann z.B. auch *Mischrasse und Rasse)
- Rechercheergebnisse zu Antonympaaren
Hier zeichnet sich ein Ansatz ab, der vor allem auf der Wortebene operiert und vornehmlich lexikographischen Interessen folgt. Daneben bezeichnet Schulz zu untersuchende Argumentationsmuster, die hier im Zitat geben sind (ebd., 70):
- »Der willige *Neger ist der beste Freund des Menschen
- Da Kamele unter dem Klima leiden, wird als Transportmittel auf den Eingeborenen nicht verzichtet werden können
- Der Eingeborene ist wie ein Kind
- Die angeborene Faulheit des Eingeborenen
- Der *Neger erkennt bedingungslos die geistige Überlegenheit des Europäers an«.
Allerdings sind die von Schulz so bezeichneten Argumentationsmuster letztlich eher voll lexikalisierte Instanzen derselben – ein Bezug zur diskurslinguistischen Forschung wird nicht hergestellt. Verwunderlich ist, dass man über den ›willigen *Neger‹ spricht und gleichzeitig das kolonialistische Rassismuskonzept nicht operationalisiert oder dass man von einer homogenen Figur des *Negers auszugehen scheint – ursächlich dafür könnte der enge Zuschnitt der Koloniallinguistik sein. Was Schulz schließlich aufzählt, sind Instanzen von Topoi rassistischen Denkens, eines Herrschaftsrassismus’. Benennt man dies nicht so, setzt man sich möglicherweise dem Vorwurf aus, Kolonialismus zu romantisieren, wie es etwas befremdlich beinahe mit Händen u.a. in der Historischen Einordnung im Band Sprache und Kolonialismus von Speitkamp (2016) zu greifen ist. Im Zuschnitt der Missionarslinguistik, deren erklärter Gegenstand im Wesentlichen die Kodifizierung fremder Sprachen durch Missionare und die Untersuchung der in diesen Sprachen abgefassten Schriften zur christlichen Unterweisung (Lied- und Bibeltexte, Katechismen etc.; vgl. Zimmermann/Kellermeier-Rehbein 2015) ist, ist ebenfalls keine Problematisierung der Systemrelevanz der Mission für die Perpetuierung des europäischen Imperialismus auf der Basis eines europäischen Rassismuskonzeptes zu erkennen. Auch das ist verwunderlich, da sich Mission in der Selbstdarstellung zwar immer nur in eine beobachtende Rolle stellt, dabei aber gern übersieht, dass sie mit der Einmischung in brutale Ausbeutungsverhältnisse über lange Jahrhunderte Teil des Systems wird.
Wengelers Arbeiten zum Migrationsdiskurs zeigten deutlich, wie man sich dem Konzept ›Rasse‹ annähern kann. Es ist erstaunlich, dass nach diesem Fortschritt in der Auseinandersetzung mit der eigenen, furchtbaren Geschichte ausgerechnet in einer Kolonial- und Missionarslinguistik das Konzept ›Rasse‹ nicht operationalisiert worden ist, obwohl sie sich explizit auf die Arbeiten Michel Foucaults bezieht.
2. Operationalisierung des Konzeptes ›Rasse‹
Ausgangspunkt wird hier Foucaults Analytik der Macht sein, die sich aus verschiedenen Arbeiten entwickeln lässt, zu denen auch die Archäologie des Wissens zählt. Im Mittelpunkt steht der Begriff des Dispositivs, das Foucault bestimmt als »ein heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebenso wohl wie Ungesagtes umfasst« (Foucault 1978, 119f.). Daraus folgt zum einen, dass es die Macht nicht gebe, sondern dass man sie als Beziehungsgefüge, als Dispositiv, beschreiben muss (ebd., 126). Zum anderen kann man das diskursive Konstrukt ›Rasse‹ mit Foucault als ein Dispositiv der Disziplin auffassen und aus seinen Arbeiten zu Herrschaft und Strafe entwickeln. Zentrale Elemente des Dispositivs sind Strukturen, die auf der einen Seite die Herrschaft der zur Paranoia neigenden Wenigen gegen die Vielen mit einem effizienten Sicherheits- und Beobachtungsapparat und einem ausdifferenzierten System an Strafen und Belohnungen garantieren, und zum anderen das System z.B. in Bildungsprozessen zu legitimieren suchen. Spreen (2010) nennt diese Gemeinschaften und Gesellschaften nach Foucault ›Menschenführungsregimes‹. Die Plantage ist die europäisch kulturalisierte Form der Unterjochung, die durch das diskursive Konstrukt ›Rasse‹ ihre Legitimation erfährt. Auf diesen umkreisen sich Mächtige und Ohnmächtige, Bewacher und Bewachte. Sie sind auf Inseln gefängnisartig eingeschlossen und leben in einem Klima wachsender, ins Hysterische driftender Angst, was, wie wir mit Blick auf philosophische und soziologische Forschung sehen werden, rassistisches Denken katalysatorisch beständig fördert und perpetuiert.
Wesentliche Aspekte der Foucault’schen Auffassung werden auch von George M. Fredrickson2 und Mbembe diskutiert. »Wollten wir eine knappe Formulierung wagen, so könnten wir sagen, daß Rassismus vorliegt, wenn eine ethnische Gruppe oder ein historisches Kollektiv auf Grundlage von Differenzen, die sie für erblich oder unabänderlich hält, eine andere Gruppe beherrscht, ausschließt oder zu eliminieren sucht« (Fredrickson 2011, 233). Diese kurze Formulierung ist voraussetzungsreich. An anderer Stelle ist Fredrickson expliziter:
Eine […] Gruppenzentriertheit mag zu Vorurteilen und zur Diskriminierung […] führen […]; doch um hier mit Recht von Rassismus sprechen zu können, müßten zwei zusätzliche Elemente gegeben sein. Eines davon ist die Überzeugung, daß die Unterschiede zwischen den […] Gruppen dauerhaft und unauslöschlich sind. Solange Bekehrung oder Assimilation eine reale Möglichkeit darstellen, haben wir es mit religiöser oder kultureller Intoleranz, aber nicht mit Rassismus zu tun. Das zweite Element ist die politische und soziale Seite der Ideologie – ihre Verknüpfung mit der Ausübung von Macht im Namen der Rasse und mit den daraus resultierenden Mustern von Herrschaft oder Exklusion (ebd., 232f.; Hervorhebung von mir, A.L.).
Zentral für rassistisches Denken ist, dass zugewiesene Eigenschaften als unveränderbar, erblich konzeptualisiert sind. Gegründet ist dies meist in der Xenophobie, wörtlich der Fremdenangst. Das heißt, z.B. auf den Antisemitismus bezogen, dass dieser »zum […] Rassismus [wurde], als sich die Überlegung durchsetzte, Juden hätten nicht nur den falschen Glauben und falsche Einstellungen, sondern seien ihrem ganzen Wesen nach schlecht und böse« (ebd., 28). Diese rassistische Ausschließung geht mit starken irrationalen Ängsten einher (vgl. ebd., 33). Assimilation des Fremden ins Eigene wird dann als echte Alternative ausgeschlossen. Wird sie, etwa durch Taufe, jedoch gewährt, dann schlägt Fredrickson vor, den Begriff ›Kulturalismus‹ zu gebrauchen (ebd., 17). Weiter hebt Fredrickson für diese Bestimmung die in der soziologischen Forschung übliche Differenzierung zwischen Rassismus und Ethnozentrismus auf, denn ob nun biologische oder kulturelle Begriffe und Konzepte zur Ausgrenzung anderer führten, ließe sich seiner Meinung nach vor allem in historischen Kontexten nicht immer sauber scheiden. Denn: »Kultur kann in einem solchen Maße verdinglicht oder essentialisiert werden, daß sie zum funktionalen Äquivalent des Rassenbegriffs wird« (ebd., 18).3
Mbembe (2016) führt in der Kritik der schwarzen Vernunft die Prämissen und Ergebnisse der Rassismusforschung aus Soziologie und Philosophie zusammen und lässt sie in eine scharfe Kapitalismuskritik münden. Danach produziere dieser »nicht nur Waren, sondern auch ›Rassen‹ und ›Spezies‹. Ihm liegt ein rassistisches Denken, eine ›schwarze Vernunft‹ zugrunde […]« (Mbembe 2016, Klappentext). Die Figur des *Negers wird als prototypische Figur des westlichen Rassendenkens ausgemacht.4 Mit der Schwarzen Vernunft ruft Mbeme in der Tradition Foucaults Gestalten des Wissens auf, benennt Ausbeutungs- und Ausraubungsmodelle und beschreibt Paradigmen der Unterwerfung. Die Figur des *Negers als Prototyp des westlichen Rassenkonzeptes bestimmt er so (vgl. ebd., 30ff.): Die Figur des *Negers ist eine vormenschliche Gestalt, die in Animalität und Sinnlichkeit gefangen ist und im Gegensatz zum Normalzustand der Gattung keine Gestaltungsoptionen weder für sich noch für seine Umwelt hat. Damit steht sie als Rassensubjekt in einem degenerierten Zustand und weist ontologische Mängel auf. Sie ist aus diesem Grunde hilfs- und schutzbedürftig; die Kolonisation (und Ausbeutung) ist zivilisatorisches und humanitäres Werk – Gewaltausübung zur Erreichung dieser Ziele moralisch gerechtfertigt. »Auf dem großen Tableau der Gattungen und Arten, der Rassen und Klassen«, so Mbembe, in die sich das westliche Denken einschließt, »steht der *Neger in seiner großartigen Dunkelheit für die Synthese [von Fossil und Monster] [nach Foucault]. Dennoch existiert der *Neger nicht als solcher, er wird beständig produziert« (ebd., 42f.). Was das heißt, fasst Mbembe so zusammen: »Den *Neger produzieren heißt ein soziales Band der Unterwerfung und einen Ausbeutungskörper produzieren, also einen Körper, der ganz dem Willen eines Herrn unterworfen ist und dem man ein Höchstmaß an Rentabilität abzupressen sucht« (ebd., 43). Rasse ist zugleich eine Gestalt eines Ausbeutungs- wie eines Angstkonzeptes, das Mbembe im Zusammenhang mit der massenhaften Versklavung vom 15. bis 19. Jahrhundert sieht – und damit der ersten Phase der conditio nigra. Die Plantage als Ort kapitalistischer Produktion bezeichnet er als »paranoide Institution«, als Ort, an dem die Herrschenden beständig in Angst mit dem »Gespenst der Auslöschung« (ebd., 44) leben. Die schwarze Struktur der Welt, wie sie auf den karibischen Inseln im 18. Jahrhundert sichtbar wird, zeigt sich von ihren beiden Seiten – furchtbarster Unterdrückung und furchtbarster Angst im Zeichen des Kapitalismus und der Signatur der Rasse.
Abb. 1: Dänisch West-Indien (um 1850), Ausschnitt. Fritz Melbye. (https://es.wikipedia.org/wiki/Fritz_Melbye — /media/
File:Danish_West_India_-_Fritz_Melbye.jpg, zuletzt abgerufen am 22.06.19)
Vor dem Blick in ausgewählte Quellen ist es wichtig, sich darüber zu verständigen, wie ›Rasse‹ als diskursives Konstrukt, als Gestalt des Wissens aufzufassen sei. Hier fließen die bisherigen Überlegungen zusammen. Voraussetzung rassistischen Denkens ist die Wahrnehmung des Anderen als Fremden. Wichtige Konzeptualisierungen rassistischen Denkens sind darauf aufbauend zum einen die, dass die Superiorität, also die (biologische, ästhetische, moralische, ethische, rechtliche, ökonomische, kulturelle etc.) Überlegenheit des Eigenen, als nicht vergänglich konzeptualisiert wird. Zum anderen wird das Fremde als bedrohlich charakterisiert. Dabei spiegelt sich eine über die Xenophobie hinausreichende ANGST vor dem Fremden nicht nur in Aussagekomplexen und Bezeichnungstraditionen wider, sondern auch darin, dass das schutzbedürftige Eigene durch Präventivmaßnahmen (SICHERHEIT) abgeschirmt und eingeschlossen wird. Notwendigerweise geht damit einher, dass das Fremde ausgeschlossen wird. Diskursiv werden dann die zwei Logiken des Rassismus verhandelt, die der Herrschaft in Ausbeutungskontexten und die der Vernichtung (vgl. nach Taguieff so auch Fredrickson 2011). Schlussendlich stellt sich in der Diskurslinguistik damit die Frage: Welche sprachlichen Mechanismen lassen sich diskursiv beschreiben, die die Etablierung eines Rassesubjektes anhand der genannten Kriterien indizieren bzw. es stabilisieren?
Ich werde mich im Folgenden auf die Komplexe ANGST und SICHERHEIT konzentrieren, die in den vorgestellten Rassismuskonzeptionen eine maßgebliche Rolle spielten.
3. Der *Neger als Rassensubjekt in deutschsprachigen Quellen des 18. und 19. Jahrhunderts
Bei Mbembe wurde deutlich, dass für die Konstitution des europäischen Rassenkonzeptes und insbesondere die Figur des *Negers der transatlantische Sklavenhandel und insbesondere die Plantagen der Karibik als Elemente des Dispositivs der Disziplin eine entscheidende Rolle spielen. Interessanterweise können uns deutschsprachige Quellen die Karibik im 18. und 19. Jahrhundert aufschließen. Doch sie liegen nicht nur der Forschung vor, sondern sind für ein großes deutschsprachiges und, mit Übersetzungen ins Englische, ein europäisch-nordamerikanisches Publikum im 18. und 19. Jahrhundert zugänglich und in entsprechende kommunikative Praxen eingebettet, die eine Verbreitung sicherstellen. Diese prägen die Figur des *Negers – und des *Buschnegers in Surinam, des *Indianers in den sich konstituierenden Vereinigten Staaten von Amerika und des *Eskimos auf dem dänischen Grönland – über 150 Jahre maßgeblich, schon bevor man in Deutschland auf die aus heutiger Sicht wahnwitzige Idee kommt, Kolonien einrichten zu müssen – gerade diese und nur diese stehen aber im Fokus der germanistische Koloniallinguistik, die damit den Erfahrungsraum, in dem das Rassensubjekt *Neger konstituiert wird, nicht in den Blick nimmt. Dabei stünden sämtliche genuin deutschsprachige Quellen z.B. aus der Herrnhutischen Mission zur Verfügung (vgl. Lasch 2009), die für das Thema ›Sprache und Kolonialismus‹ durchaus relevant wären.
Abb. 2: Herrnhutische Mission in der Mitte des 19. Jahrhunderts (Moravian Atlas 1853)
Die germanistische Koloniallinguistik verfehlt aber auch die Erfahrungszeit für die Konstitution der Figur des *Negers maßgeblich. Es ist davon auszugehen, dass rassistische Konzepte und Denkfiguren in ihrer Schärfe in einer Zeit geprägt werden, die vor dem Abolitionismus, der Sklavenbefreiung, liegt. Diskurslinguistisch relevant ist, dass man Wissenselemente des epistemologisch-semantischen Konzepts Rasse bzw. konkret der Figur des *Negers nur extrahieren und sichtbarmachen kann, wenn man die Etablierung des Konzeptes verfolgt.
Abb. 3: Deutschsprachige Mission, Abolitionismus und Deutscher Kolonialismus (eigene Grafik)
Einer der frühesten narrativen Entwürfe aus der Karibik, der die Erfahrungen der ersten Missionare zusammenführt, ist Christian Georg Andreas Oldendorps Geschichte der westindischen Mission (1777). Er unternimmt, in Darstellungen zu dieser Zeit nicht unüblich, eine so genannte ›Völkerschau‹ und vergleicht z.B. *Neger Afrikas und der Karibik. Er ist, wie die Kapitelüberschriften nahelegen, dabei darauf bedacht, ein möglichst umfassendes Bild zu geben vom »äußeren Zustand und der Einrichtung der *Neger in Westindien«, »ihren Geschäften und ihrer Behandlung«, »den Rechten der Herren über ihre Sklaven«, dem »Entlaufen, Empörungen und Loskaufen«, ihrer »Bildung, Farbe, Fruchtbarkeit und Krankheiten«, dem »moralischen Charakter und Fähigkeiten«, das mit dem Satz eingeleitet wird: »der sittliche Charakter der heidnischen *Neger [ist] größtentheils sehr schlecht« (Oldendorp 1777, 411); »bey den meisten von ihnen beh[ä]lt doch, solange sie nicht dem Evangelio gehorsam werden, die Neigung zum B[ö]sen die Oberhand, und wird nur durch den Mangel der Gelegenheit und der Macht in ihren Ausbr[ü]chen beschr[ä]nkt« (ebd., 381). Weiter thematisiert er die »creolische Sprache«, und schließlich »Gebräuche und Gewohnheiten der *Neger in Westindien« (Kapitelüberschriften in Oldendorp 1777). Wer sich ein umfassendes Bild davon machen will, was man in Europa vom *Neger im 18. und 19. Jahrhundert wissen kann, darf sich bei Oldendorp einen umfassenden Eindruck verschaffen. Aber nicht nur da: Flankiert werden solche Überblicksdarstellungen von einer Flut an Herrnhutischen Missions‑, Reise- und Correspondenzberichten aus allen Teilen der Welt, die auf Deutsch verfasst, in Deutschland gedruckt, verkauft und gelesen und schließlich ins Englische übersetzt werden.
Ich werde mich im Folgenden auf die anfangs erwähnten Konzepte ANGST und SICHERHEIT konzentrieren, die maßgeblich zur diskursiven Konstitution eines Rassesubjektes, wie sie uns in der Figur des *Negers gegenübersteht, beitragen. Oldendorp skizziert nämlich die Grundkonstellation, die, über ANGST und GEFAHR auf der einen Seite, SICHERHEIT und PRÄVENTION auf der anderen Seite, dem Konzept Rasse und der Figur des *Negers eingeschrieben wird.
Da bey der grossen Menge der *Neger, ihrer vorz[ü]glichen Leibesst[ä]rke, und ihrer gr[ö]stentheils schlechten Denkweise, die Freyheit und das Leben der *Blanken in einer sehr scheinbaren Gefahr ist; so sind die den *Negern vorgeschriebenen Gesetze vorz[ü]glich dahin gerichtet, ihnen jede Veranlassung, ja selbst die Neigung zu benehmen, die *Blanken auf irgend eine Weise zu sch[ä]digen (ebd., 388f.).
Dass der *Neger ›zum Bösen neige‹, ist eines der basalen Merkmale des diskursiv entwickelten Rassesubjektes. Dies und die schiere körperliche wie zahlenmäßige Überlegenheit lässt die *Blanken immer um ihr nacktes Überleben fürchten – Oldendorp verwendet den Begriff ›*Blanke‹ für die europäische Minderheit in der Karibik. Er ist aus heutiger Sicht nicht weniger problematisch. Er geht davon aus, dass z.B. auf der kleinen Insel St. Croix 2.000 *Blanke versuchten, 20.000 *Neger durch ein System von Beobachtung, Bewachung, Strafe im Griff zu halten und durch Missionierung zu domestizieren, denn »[e]s ist immer Grund vorhanden, von gezwungenen Sclaven zu vermuthen, daß sie auf die Erlangung der Freyheit bedacht sind« (ebd., 390). Plantagenwirtschaft und Mission dürfen nicht losgelöst voneinander beschrieben werden, sondern es handelt sich um Elemente eines Dispositivs, auch wenn Oldendorp einen anderen Eindruck vermitteln möchte: Er nimmt durch den Gebrauch des Begriffs *Blanke (selbst als *Blanker) eine distanzierte Position ein, wie sie typisch ist für die Vorstellung, dass die Mission nicht Teil des ausbeuterischen Systems gewesen sei (und für diese Haltung muss sich im 19. und 20. Jahrhundert nicht nur die Äußere, sondern auch die Innere Mission zurecht immer wieder rechtfertigen) – diese Selbstdarstellung ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, denn auch die Herrnhuter unterhielten selbst Plantagen. Ich werde noch darauf zurückkommen.
Die Gründungsgewalt dieser Konzeption von Rasse und der Figur des *Negers ist in Aufständen wie auf St. Jan 1733 zu suchen. Hier gelingt es den Sklaven, sich zu befreien – sie machen in einem Gewaltexzess beinahe alle *Blanken nieder:
Solange die Aufr[ü]hrer Meister von der Insel [sc. St. Jan, 1733] waren; so [ü]bten sie alle die barbarischen Kriegsrechte aus, wozu ein erbitterter Feind in einem eroberten Lande berechtigt zu seyn glaubet. Sie raubten, sie sengten, brennten, zerst[ö]rten, und lebten im Ueberfluß, ohne auf die n[ö]thigen Anstalten zur Behauptung ihrer Eroberung zu denken. Vern[ü]nftige Ueberlegung hatte an ihrem ganzen Unternehmen keinen Antheil gehabt; und kein Verstand h[ä]tte auch zu ihrer Vertheidigung zugereicht (ebd., 399f.).
Erst durch das Eingreifen der französischen Marine kann der Aufruhr 1734 beendet werden. Durch Erfahrungen wie diese, Wissen über das angeblich durchweg böse Wesen des *Negers und die wohl richtige Annahme, dass es immer einen Grund gibt zu vermuten, dass Sklaven ihre Freiheit nicht nur durch ›Entlaufen‹, sondern auch durch ›Empörung‹ suchen, hat sich über die Jahrzehnte ein System eingespielt, welches Strafe und Belohnung fein justiert:
Der lasterhafte Charakter der meisten heidnischen *Neger, und ihre Menge, hat in die Strafen derselben eine H[ä]rte gebracht, die mit der Gr[ö]sse ihrer Vergehungen dem Anschein nach nicht immer in geh[ö]rigem Verh[ä]ltnis stehet. Aber durch nichts, als durch die Furcht vor einer so unausbleiblichen als scharfen Strafe l[ä]ßt sich dieses ungesittete Volk von der Aus[ü]bung seiner lasterhaften Neigungen abhalten. (Oldendorp 1777, 388)
Dabei zielen erschreckend harte Strafen auf die Aufrechterhaltung und Steigerung der ANGST der Unterjochten. Strafe ist Prävention, moralisch gerechtfertigt und dient der eigenen SICHERHEIT, die ihrerseits auf einer Angst vor den Unterjochten fußt, die stets ins Paranoide zu kippen droht, wie ein Bericht von der Nachbarinsel Jamaika – die unhaltbaren Zustände, die dort herrschen, werden im Vereinigten Königreich dazu führen, öffentlich über die Kolonialpolitik zu debattieren und schließlich den Abolitionismus einzuleiten – einige Jahre später zeigt:
Schon in der ersten Hälfte des Monats [sc. Mai 1816] hatten wir durch die nächtlichen Zusammenkünfte der *Neger Verdacht geschöpft, daß sie einen Aufstand vorhaben möchten, und gehörigen Ortes Anzeige davon gethan; es ließ sich aber nichts Gewisses herausbringen, da die Treiber mit den *Negern einverstanden waren, und von den Zusammenkünften nichts gemerkt haben wollten. In den letzten Tagen des Monats erfuhr ich nun, daß die Bürgermiliz an ihre Posten beordert worden sey, weil wirkliche Spuren des Aufruhrs in diesem und dem benachbarten Kirchspiel wahrgenommen würden. (Bericht von Jamaika 1816–1818. In: Lasch 2009, 174f.)
Die Eingrenzung der Gewalt durch die *Blanken hat also, schon bei Oldendorp, nur zwei Gründe: Zum einen werden sie durch »unm[ä]ßige H[ä]rte […] zu verzweifelten Entschliessungen gebracht; durch jene aber k[ö]nnen sie in sch[ä]dliche Ausschweifungen gerathen, so daß sie schwer wieder in Ordnung und Gehorsam zu bringen sind: denn sie d[ü]nken sich sehr leicht selbst Herren zu seyn, sobald sie ihr Joch nicht nachdr[ü]cklich f[ü]hlen« (Oldendorp 1777, 385). Zum anderen ist »[u]nstreitig […] jedem Herrn an der Erhaltung seiner Sclaven sehr viel gelegen; sie sind sein Reichthum […]« (ebd., 383). Neben der Gewaltausübung ist ein weiteres Mittel dieses Dispositivs der Disziplin, zu taufen und zu predigen: »Es ist mir genug, zu sagen, daß die Religion unsers Heilands Jesu Christi den christlichen Sclaven ihre Pflichten gegen ihre Herren aufs deutlichste, nachdr[ü]cklichste und vollst[ä]ndigste vorschreibet, und dieselben aus Bewegungsgr[ü]nden herleitet, die von dem Charakter des Herrn, und dessen h[ä]rterem oder g[ü]tigerm Betragen gegen seine Leibeigene, unabh[ä]ngig sind« (ebd., 385). Ziel ist aber für die Plantagenherrschaft, die die Mission nur unter diesen Bedingungen duldet, mit Fredrickson im Hinblick auf den Unterschied zwischen Kulturalismus und Rassismus nicht, durch Taufe Assimilation anzustreben, sondern ein weiteres Kontrollinstrument in den Händen zu halten, wie dieses Beispiel aus einem anderen Missionsbericht zeigt:
In den letzten Tagen des April [sc. 1816] erregten Nachrichten von dem auf Barbados ausgebrochenen *Neger=Aufruhr unter den *Weißen dieser Insel viel Schrecken. Die Miliz wurde zusammen berufen, und die Insel in Kriegsland erkl[ä]rt. Da wir aber unter den *Negern unsrer Insel nicht die mindeste Spur von rebellischen Absichten wahrnahmen, so glaubten wir zuversichtlich, daß unser Herr uns in Ruhe und Frieden erhalten m[ö]ge. (Bericht von Antigua 1816. In: Lasch 2009, 166).
Allerdings – und auch das sei deutlich herausgestellt – ist die Herrnhutische Auffassung eine andere. Im Selbstverständnis der Gemeinschaft wird freilich nicht getauft, um das rassistische System der Unterjochung zu stützen, sondern um kulturell zu assimilieren (vgl. dazu oben die zitierten Ausführungen von Fredrickson). Dass dieses ambivalente Verhältnis durchaus zu kulturell hybriden Formen führt, lässt sich eindrucksvoll an einem besonderen Beispiel illustrieren. Rebecca (1720–1780), eine freigelassene Sklavin, stand im Mittelpunkt einer Christianisierungsbewegung auf St. Thomas. 1736 kamen die Herrnhuter Friedrich Martin und Matthäus Freundlich nach St. Thomas, um eine Mission zu beginnen – Freundlich heiratete Rebecca 1738. Als ob dies nicht bemerkenswert genug sei, so erwarben die Freundlichs nicht nur Grundbesitz und Plantagen, sondern selbst auch Sklaven für ihre Plantagenwirtschaft auf dem Gut Posaunenberg. Später führt sie ihr Weg nach Europa; nach dem Tod ihres Mannes heiratet sie 1746 (den halbafrikanischen) Christian Protten und folgte diesem 1763 in die südafrikanische Mission Christiansborg (vgl. dazu ausführlichst die Ausführungen bei Oldendorp 1777, 531ff. und kondensierter den Beitrag von Tabea Mußgnug unter: http://frauen-und-reformation.de/?s=bio&id=129, zuletzt abgerufen am 09.05.2019).
Erarbeitet man Missionsberichte wie diese, dann sind nicht nur positivistisch geprägte Erfassungen des Lexems oder Stigmawortes *Neger von Bedeutung und auch nicht ausschließlich explizite Hervorhebungen von Gewaltausbrüchen, die das gesamte Repressionsinstrumentarium der in Angst und Schrecken versetzten *Blanken in Bewegung setzen. Man hat auch Aussagenkomplexe zu berücksichtigen, die oberflächlich nicht diesem Komplex und diskursiven Konstrukt zuzugehören zu scheinen:
Unsre in der Stadt wohnenden Mitarbeiter waren vor eine Comittee der Regierungs=Beh[ö]=rden geladen worden, und hatten von derselben die Anzeige erhalten, daß die Regierung der Insel, [ü]berzeugt von dem Nutzen der Arbeit der Br[ü]der unter den hiesigen *Negern, den Wunsch hege, daß wir diese Arbeit auch auf andre Theile der Insel [ausdehnen]; zu welchem Zweck sie uns ein St[ü]ck Land geben und auch mit Geld aus der Landeschatzkammer unterst[ü]tzen wolle. (Bericht von Antigua 1816. In: Lasch 2009, 170f.)
Sie sind Ausdrücke und Aussagenkomplexe von Präventiv- und Sicherheitsmaßnahmen einer ins Hysterische gesteigerten Angst vor den Unterjochten. Besonders deutlich wird das im letzten Beispiel, ebenfalls von Antigua, mit welchem ich diese Reihe schließen möchte – dieses kann nur in einer diskurspragmatischen Untersuchung dem diskursiven Konstrukt ›Rasse‹ bzw. Figur des *Negers zugeordnet und verstanden werden: »Er ließ seine Leute zu einer Versammlung von den Feldern rufen, und versicherte mich, daß wir immer auf seiner Plantage herzlich willkommen seyn w[ü]rden […]« (Bericht von Antigua 1816. In: Lasch 2009, 166). Denn hier zielt man nicht auf die Gleichheit des Menschen vor Gott und die daraus abzuleitende Ablehnung der Sklaverei, sondern auf die Domestizierung als Element des Dispositivs der Disziplin – diese geht zwar nicht von der Mission aus, aber als stille Beobachterin, wie das Selbstbild suggeriert, darf sie nicht bewertet werden, wie u.a. das Beispiel Rebecca Protten zeigt.
4. Fazit
Entwickelt man das Konzept ›Rasse‹ diskursiv, dann darf man vermuten, dass die Figur des *Negers nur eine der Figuren ist, die rassistisches Denken markieren können. Deshalb betonen sowohl Fredrickson als auch Mbembe, dass wir heute in einer Zeit leben, in der Kulturalismus bzw. Ethnozentrismus in Rassismus abdriften können. Dabei spielen einzelne konstituierende Elemente der diskursiven Konstruktion ›Rasse‹ eine entscheidende Rolle: ANGST und SICHERHEIT. Es war mir nicht Anliegen zu postulieren, dass jede Formulierung eines Ausdrucks, der sich den Konzepten ANGST oder SICHERHEIT zuordnen ließe, bereits auf das Konzept RASSE verwiese. Aber ich möchte postulieren, dass man nicht nur den harten, ethnisch-biologischen Rassismus, den es immer geben wird, im Blick behalten muss, wenn man heute bspw. über die Neubelebung rassistischen Denkens sprechen möchte, sondern auch diskursive Entwicklungen ernst nimmt, die sich durch eine Schleife hysterischer und ins Paranoide gesteigerte Angst auszeichnen und damit Indizien dafür bieten, dass man sich in rassistisches Denken eingewöhnen kann – das heutige tagesaktuelle Gerede von der ›Einwanderung in Sozialsysteme‹ liefert dafür ein Beispiel. Denn, wie man mit Fredrickson lernen kann: Die Grenzen zwischen Kulturalismus und Rassismus sind fließend. Und die zweite Lehre ist: Wir haben heute in einer säkularen Kultur keinen funktionierenden Assimilationsmechanismus mehr, der eine sich konstituierende Spirale von Angst und Gewalt durchbrechen könnte. Uns steht bspw. nicht mehr das Mittel der Taufe oder des Bekenntnisses zur Verfügung, welches in einer vormodernen Welt ausreichte, um Ausgegrenzte zu assimilieren. Weiter und ganz konkret könnte hilfreich sein, dass man Kolonialismus, Sklavenhandel, Kapitalismus und christliche Mission nicht als nationalstaatliche Einzelprojekte begreift, sondern anerkennt, dass man es hier mit einem globalen System unter der Signatur der Rasse im Angesicht der Figur des *Negers zu tun bekommt, in dem der Deutsche Kolonialismus nur eine marginale Rolle spielte, weshalb die Auseinandersetzung mit Exklusion nur an Quellen aus dem späten 19. Jahrhundert möglicherweise eine erneute Ausgrenzung – nur auf einer anderen Ebene – bedeuten kann und damit eine neue Grenze gezogen würde.
Literatur
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Lasch, Alexander (Hg.) 2009: Mein Herz blieb in Afrika. Eine kommentierte Anthologie Herrnhutischer Missionsberichte von den Rändern der Welt am Beginn des 19. Jahrhunderts. Hildesheim u.a.: Olms.
Oldendorp, Christian Georg Andreas 1777: Geschichte der Mission der evangelischen Brüder auf den caraibischen Inseln S. Thomas, S. Croix und S. Jan. Hg. von Johann Jakob Bossart. Barby: o.V.
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Online-Quellen
Hampel, Jonas 2013: »Schwarz geboren, zum Neger gemacht«. In: ZEIT Online (7. Februar 2013). Unter: http://www.zeit.de/gesellschaft/2013–02/leserartikel-rassismus-neger, zuletzt abgerufen am 09.06.2019.
1 In der Folge werden auch Zitate anderer dieser Regelung ohne besondere Kennzeichnung unterworfen.
2 In diesem Beitrag werden mich weniger die Herleitung und historische Begründung der »beiden hartnäckigsten und niederträchtigsten Erscheinungsweisen« des Rassismus (Fredrickson 2011, 135), nämlich die Ideologie der Überlegenheit der Weißen in den Vereinigten Staaten und der Antisemitismus im Dritten Reich, interessieren, sondern ausschließlich Fredricksons Konzept von ›Rasse‹.
3 Auch die Differenzierungsleistungen von Appiah zwischen racism und racialism, um Formen der Unterwerfung und Ausbeutung auf der einen und ein Denken in Rassenkategorien auf der anderen Seite voneinander zu scheiden, und die die Differenzierung der »Logiken des Rassismus« zwischen Herrschaftsrassismus und Vernichtungsrassismus nach Taguieff sind in der knappen Bestimmung Fredricksons (2011) aufgehoben.
4 Seine These, dass die conditio nigra im Neoliberalismus auf die ganze Menschheit übertragen wird, wird in diesem Beitrag zwar keine weitere Rolle spielen, wäre aber allemal in Fragestellungen zum Zusammenhang von Angst und Ausbeutung wieder aufzunehmen.