Rituale: ›Außeralltägliche‹ Sprachformen und alltäglicher Sprachgebrauch
Ludwig Jäger
Für Wolf-Andreas Liebert
1. Kurze Vorbemerkung zum Gebrauch von ›Ritual‹
Die hier im Folgenden vorgelegte sprachtheoretische Skizze richtet sich auf einen bestimmten Aspekt der rituell-performativen Kommunikation: auf eine sowohl in der ethnologisch-kulturanthropologischen, als auch in der sprachphilosophischen Literatur aus je unterschiedlichen theoretischen und empirischen Perspektiven in den Blick genommene, Ritualen und ritueller Kommunikation zugeschriebene Eigenschaft, die man unter dem Begriff des Außeralltäglichkeit fassen könnte. Außeralltäglichkeit scheint sowohl in der linguistischen als auch in der außerlinguistischen Literatur für ein geradezu gegenstandskonstitutives Moment ritueller Kommunikation gehalten zu werden.
Bevor ich mich diesem Problemfeld nähere, bedarf es aber noch einer kurzen Erläuterung meines Gebrauchs der Begriffe ›Ritual‹ bzw. ›rituelle Kommunikation‹. Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass, wenn im Folgenden die Termini ›Ritual‹ und ›rituelle Kommunikation‹ verwendet werden, eine simplifizierende und eigentlich unzulässige Verallgemeinerung im Spiel ist. Ich möchte deshalb meine Verwendung der beiden Begriffe in zweierlei Hinsicht begrifflich entlasten: Einmal werde ich bei meinem Terminusgebrauch die Unterscheidung von Ritualen in präliteralen Kulturen – wie sie in der einschlägigen sozial- und kulturanthropologischen Forschung etwa bei Bronislaw Malinowski, Victor Turner und Stanley J. Tambiah analysiert worden sind (vgl. etwa Malinowski 1965a, 1965b; Radcliff-Brown 1952; ders. 1964 [1932]; Tambiah 1985a; Turner 1989 [1969]; ders. 1989 [1982]) – und Ritualen in literalisierten Gesellschaften, die in der kulturhistorischen Forschung etwa bei Jan Dirk Müller, Jan Assmann oder Klaus Schreiner verhandelt wurden, um nur einige dieser Forschungen zu erwähnen (vgl. etwa Althoff 2001; Assmann 1992; Assmann 2001; Müller 2001; Schreiner 2001), nicht berücksichtigen. Ich werde deshalb auch das Problem der historischen und systematischen Unterscheidung von ›ritueller und textueller Kohärenz‹, wie sie etwa von Jan Assmann postuliert wurde (vgl. Assmann 1992, 87ff.), ebenso beiseitelassen wie die Frage Jack Goodys nach den Folgen, die sich aus der Verschriftung von zuvor ausschließlich im Modus des je aktuellen performativen Vollzugs gegebenen Ritualen für diese ergeben (vgl. Goody 2000, 47ff.). Mein Gebrauch von ›Ritual‹ wird auch die These Erving Goffmans ausblenden, dass für heutige Gesellschaften eine fortschreitende Substitution von klassisch zeremoniellen Ritualen durch die – so Goffman — ›armselige Variante‹ sogenannter Interaktionsrituale konstatiert werden müsse1, obgleich sich dieser Prozess natürlich als ein Prozess der Veralltäglichung von Ritualen interpretieren und insofern für unseren thematischen Zusammenhang fruchtbar machen ließe. Ohne solche näheren theoretischen Spezifikationen des Begriffsfeldes soll ›Ritual‹ im Folgenden im Sinne der allgemeinen Definition Tambiahs verstanden werden als »ein kulturell konstruiertes System symbolischer Kommunikation«, das »aus strukturierten und geordneten Sequenzen von Wörtern und Handlungen [besteht], die oft multi-medial ausgedrückt werden […]« (Tambiah 2002, 213f.).2 Hier kommt nun die zweite Eingrenzung meines Begriffsgebrauchs ins Spiel, die sich aus Tambiahs Multimedialitätsthese ergibt. Ich werde die in der Forschungsliteratur viel diskutierte Frage nach der Rolle und dem Status der Sprache in den multi-sensorischen und intermedialen ›Amalgamen‹ (vgl. Tambiah 1985, 1), die Rituale darstellen, nur am Rande erörtern, auch wenn dies aus sprachtheoretischer Perspektive natürlich naheläge. Die Spannbreite der divergierenden Meinungen reicht hier weit: von der selbstgewissen linguistischen Annahme, »daß Sprache in der Regel in Ritualen die zentrale Rolle spielt« (Rauch 1992, 11), eine Annahme, die nicht unerheblich durch John L. Austins bahnbrechende Analyse ›zeremonieller Performativa‹3 genährt wurde, bis hin zu dem in der anthropologischen Literatur weit verbreiteten Postulat, Sprachtheorien wie die von George H. Grice, John Searle oder Peter F. Strawson dürften – wie Tambiah formuliert – im Hinblick auf eine Theorie des Rituals »als ziemlich irrelevant eingestuft und beiseite gelassen werden« (Tambiah 2002, 222).
Wie auch immer man zu dieser Streitfrage steht, es kann doch als weithin unumstritten angesehen werden, dass Sprache im Horizont ihrer rituellen Verwendung hinsichtlich ihrer Performativität in ihrer medialen Autarkie als zumindest insoweit eingeschränkt angesehen werden muss, als sie immer eingewoben ist in einen Symbol- und Handlungskontext nicht-sprachlicher Medien, durch die Rituale in ihrer Ganzheit erst konstituiert werden. So weist etwa Tambiah in The Magic Power of Words darauf hin, dass die rituelle Verwendung von Wörtern zwar ebenso wichtig sei wie die anderer Formen ritueller Handlungen, dass sie ihre Wirksamkeit aber nur unter der Bedingung entfalteten, dass sie sich in den Kontexten nicht-sprachlicher Handlungen vollzögen (vgl. Tambiah 1985b, 18). Und auch Jan Assmann hebt hervor, dass in rituellen Aufführungen kulturellen Wissens der sprachliche Text unablösbar eingebettet sei »in Stimme, Körper, Mimik, Gestik, Rhythmus und rituelle Handlung« (Assmann 1992, 56f.). Sprache – so der breite Konsens – stelle im multimedialen Zusammenspiel ritueller Kommunikation nur eines – und zwar ein für sich unselbständiges – der Momente dar, die die die Wirksamkeit des Rituals erzeugten. Sie generiere ihre performative Kraft nur – wie Liedtke formuliert – im Zusammenhang mit der »Existenz eines kodifizierten rechtlichen, religiösen, staatlichen, wirtschaftlichen oder sportlichen Handlungsmusters (einer Zeremonie)« (Liedtke 1998, 181).
Ich werde nun im Folgenden das Problem der Abhängigkeit der Sprache vom Handlungskontext des Rituals vor allem im Hinblick darauf diskutieren, dass in seinem Horizont nicht selten die weitergehende Annahme vertreten wird, Sprache sei im rituellen Kontext einiger ihrer ›alltagssprachlichen‹ Konstituenten beraubt (und gerade insofern in ihrer performativen Mächtigkeit eingeschränkt): Im rituellen Sprachgebrauch vollziehe sich – wie Sybille Krämer formuliert – »eine Art von Rede, die vertraute Züge des gewöhnlichen Sprechens außer Kraft« setze (Krämer 2001, 144). Die Nicht-Normalität des rituellen, außeralltäglichen Sprachgebrauchs wird hier vor allem auf den Umstand zurückgeführt, dass da, wo Sprache im Kontext von Ritualen auftrete, einige ihrer wesentlichen ›normalsprachlichen‹ Eigenschaften suspendiert seien. Sie entfalte hier ihre, im normalsprachlichen Modus »jedem Sprechakt implizit[e]« performative Kraft nur unter der Bedingung, dass sie »Teil einer nichtsprachlichen, zeremoniellen, institutionellen Prozedur« sei (ebd., 142). Es ist vor allem diese Suspensionsthese, die im Folgenden näher diskutiert werden soll.
2. Ritual und ›Außeralltäglichkeit‹
Die Idee der ›Außeralltäglichkeit‹ ritueller Ereignisse und hiermit zusammenhängend auch ritueller Sprachverwendung hat für weite Teile der ethnologisch-anthropologischen, ritualtheoretischen Literatur einen zentralen theoretischen Stellenwert – unter anderem deshalb, weil dieser Diskurs aus ihr die Unzulänglichkeit von sprachtheoretischen Begriffen wie ›Intention‹, ›Bedeutung‹ und ›Sinn‹ für die Beschreibung ritueller Kommunikation ableitet. Tambiah etwa stellt fest, dass »die Frage nach dem Sinn wichtiger ritueller Ausführungen immer weiter wegführt von einer ›intentionalen‹ Theorie der Kommunikation und der Bedeutung, wie sie von den Sprachphilosophen entwickelt wurde« (Tambiah 2002, 222). Im Gegensatz zur alltäglichen Kommunikation können – so Tambiah – »in einem konventionellen Ritual wie z. B. der Eheschließung […] der Sinn und die Wirksamkeit des Rituals nicht durch die unmittelbaren Intentionen der Priester oder der Braut und des Bräutigams erklärt werden« (ebd.) und das gilt im gewissen Sinne natürlich auch für die Sprechhandlungen, die im Rahmen des Rituals vollzogen werden. Aus diesem Grund sind für Tambiah klassische sprachtheoretische Konzeptualisierungen, die im Bereich der ›normalen‹ Sprache Gültigkeit haben, wie etwa ›Intention‹ und ›Sinn‹, für den Bereich der rituellen Kommunikation unangemessen. Rituelle Ereignisse wie Zeremonien und Feste müssen – nach der Überzeugung Tambiahs – hinsichtlich ihrer kommunikativen Logik grundsätzlich von ›normalen‹, alltäglichen Ereignissen unterschieden werden‹ (vgl. ebd., 211).
Überraschenderweise wird nun diese ethnologisch-anthropologische Idee der ›Außeralltäglichkeit‹, die hinsichtlich der Sprache bestimmte Kategorien ihres ›normalen‹, ›alltäglichen Funktionierens‹ für suspendiert und damit die Sprachphilosophie für ritualtheoretisch unzuständig hält, auch im sprachphilosophischen Ritual-Diskurs selbst vertreten. Er folgt hier weitgehend der Analyse Austins, der von sog. rituellen, zeremoniellen Äußerungen, von ›archetypischen‹ Performativa, die häufig als ›institutionelle Sprechakte‹ operieren, feststellt: »Sie beschreiben, berichten [sic] behaupten nichts; sie sind weder wahr noch falsch […]« (Austin 1979, 28); ihre wesentliche Leistung besteht nicht darin, ›etwas zu sagen‹, sondern darin, im Vollzug der Äußerung eines Satzes, das, was gesagt wird, zugleich als Handlung zu vollziehen: »Den Satz äußern heißt: es zu tun« (ebd., 29). Austins Bestimmung reicht hier bis zur Sprachphilosophie Hans-Georg Gadamers, der feststellt: »Ritus ist als erstes nicht Sprechen, sondern Handeln« (Gadamer 1993, 414). Eben hierin unterscheiden sich – wie Strawson vorschlägt sie terminologisch zu charakterisieren – ›zeremonielle von alltäglichen Performativa‹.4 In ihnen dient die Sprache – so Krämer – geradezu als »Medium der Suspendierung von Dialog und Verständigung« (Krämer 2001, 145). Für beide Paradigmen kann also die Feststellung Wolfgang Braungarts gelten: »Wie das Ritual sich als ganzes vom Alltagshandeln unterscheidet, so unterscheidet sich auch seine Sprache von der Alltagssprache« (Braungart 1996, 114). Tambiah formuliert insofern ein konsensuelles Resümee, wenn er bemerkt: »Die neuere Diskussion kehrt in gewisser Hinsicht zu Malinowskis Behandlung der magischen Sprache als besonderer Ausdrucksform, die vom normalen Sprachgebrauch abweicht, zurück« (Tambiah 2002, 218, 219). Es ist insbesondere dieser zunächst überraschende Paradigmenkonsens, der die Frage aufwirft, was es mit dem Außeralltäglichkeits-Kriterium und mit der These, im Ritual seien wesentliche Eigenschaften der ›alltäglichen‹ Sprache suspendiert, auf sich hat.
3. Ritual als ›Kommunikationsvermeidungskommunikation‹5
In einem hinsichtlich des Problems von Sprache und Ritual sowohl für den ethnologisch-anthropologischen als auch für den sprachtheoretischen Diskurs folgenreichen Aufsatz mit dem Titel The Meaninglessnes of Ritual hat Frits Staal 1979 die These vertreten, es sei eine ebenso verbreitete wie irrige Annahme, davon auszugehen, dass Rituale wesentlich aus symbolischen Aktivitäten bestünden, die auf irgend etwas anderes Bezug nähmen: Vielmehr sei es für die rituelle Performanz charakteristisch, dass sie in sich geschlossen (»self-contained«) und ausschließlich mit sich selbst beschäftigt (»self-absorbed«) sei: »Die Ritual-Partizipanten sind vollständig in die Ausführung ihrer komplexen Aufgaben vertieft. (…) Es existieren keine symbolischen Bedeutungen, die ihren Geist durchlaufen, wenn sie damit beschäftigt sind, ihre rituellen Handlungen zu vollziehen« (Staal 1979, 3). Die These von der semantischen Leere von Ritualen6 wird auch von Tambiah – der zwar im Gegensatz zu Staal darauf insistiert, dass es sich bei Ritualen um kulturelle Formen symbolischer Kommunikation handelt – insofern aufgenommen, als er in seiner Analyse der performativen Natur von Ritualen aus deren wesentlichen Merkmalen wie »Formalität«, »Konventionalität«, Stereotypizität« und »Rigidität« (Tambiah 1985b, 131) die Folgerung ableitet, Sprache werde in Ritualen in einer Weise genutzt, die ihre kommunikative Funktion zu verletzen scheine (vgl. Tambiah 1985a, 22). Eine wesentliche Ursache hierfür sieht Tambiah in dem Umstand, dass Rituale es ihren Partizipanten ermöglichen, sich etwa im Vollzug stereotyper sprachlicher Handlungen psychisch von diesen zu distanzieren (vgl. Tambiah 1985b, 131). Diese Distanzierung trenne die privaten Gefühle der Handelnden von ihrer Bindung an öffentliche Moralität (vgl. ebd., 132) und damit zugleich auch die ›privaten‹ Intentionen und Bedeutungen von der rituell zum Ausdruck gebrachten öffentlichen Semantik. Tambiah hält aus diesem Grund die Angemessenheit einer ›Intentionalitätstheorie der Bedeutung‹ für das Verständnis von Ritualen für inadäquat: »Rituale sind als konventionalisiertes Verhalten nicht dazu bestimmt, die Intentionen, Gefühle und Geisteszustände von Individuen in einer direkten, spontanen und ›natürlichen‹ Weise auszudrücken« (ebd.). Rituale – so könnte man sagen – dissoziieren in ihrem performativen Vollzug die private Mentalität der Partizipanten von der Medialität des konventionalisierten, stereotypisierten Sprachgestus, der für das rituelle Verfahren charakteristisch ist – mit der tendenziellen Konsequenz einer fortschreitenden Sinnentleerung der rituell verwendeten sprachlichen Mittel. Diesen Umstand scheint auch Gadamer im Auge zu haben, wenn er das »wahre«, dialogische Leben der Sprache von dem uneigentlichen Dasein scheidet, das sie in Ritualen fristet.7 In Kulthandlungen wird – so die These Gadamers – die Individualität der Partizipanten gleichsam in der Ritualität der konventionalisierten Vollzüge aufgelöst: »Alle Kulthandlungen haben aber diesen gemeinsamen Zug, daß nicht ein einzelner als einzelner seine Handlung vollzieht. Es ist nicht ›seine‹ Handlung, und die Worte, die er spricht, sind auch nicht die seinen« (Gadamer 1993, 414). Für Gadamer – wie bereits für Staal – werden im kultischen Sprachvollzug die verwendeten symbolischen Mittel von den Partizipanten nicht tatsächlich semantisch gemeint: »Der Gebrauch der Worte ist derart in ein Handlungsgefüge eingesenkt, in dem sie ihre Funktion ausüben, daß sie als Bedeutungsträger nicht wirklich vollzogen sein müssen« (ebd., 413). Niklas Luhmann hat deshalb – mit Blick auf die einschlägige anthropologische Ritual-Literatur und die dort weithin übereinstimmend vertretene These von der meaninglessness ritueller Sprachsymbole – davon gesprochen, dass »das Ritual überhaupt nicht als Kommunikation vollzogen« werde, und eine seiner zugleich prägnanten und ausladenden Wortfindungen für die Feststellung herangezogen, Rituale ermöglichten lediglich eine »Kommunikationsvermeidungskommunikation« (Luhmann 1997, 235f.).
Wird also die rituelle Sprache wirklich – wie bereits Malinowski annahm – kategorial anders prozessiert als die ›normale‹ Sprache (vgl. Malinowski 1965b, 235; hierzu Tambiah 1985a, 31) und besteht die Differenz wirklich darin, dass wir es hier mit einem stereotypisierten, semantisch leeren und uneigentlichen Sprachgebrauch zu tun haben? Krämer hat diese Frage aus der Perspektive der Austin’schen zeremoniellen Performativa diskutiert (vgl. Krämer 2001, 140ff.) und dabei das Problem sprachtheoretisch zugespitzt. Austin selbst hatte diesen Typus von Performativa, für den etwa Urteil, Testament, Heirat und Taufe klassische Beispiele sind, als konstitutive Elemente bestimmter institutioneller Rituale angesehen (vgl. hierzu Austin 1968): Indem performative Äußerungen dieser Provenienz unter der Voraussetzung des Erfülltseins bestimmter Bedingungen geäußert werden, gelten sie zugleich als die Handlungen, auf die sie sich semantisch beziehen. »Eine geglückte performative Äußerung exemplifiziert pragmatisch, was sie semantisch denotiert« (Krämer 2001, 141). Der Satz »Ich taufe Dich auf den Namen Victoria« stellt unter geeigneten Bedingungen nicht nur den semantischen Bezug zum Sachverhalt der entsprechenden Taufe her, sondern ist uno actu ihr Vollzug.
Krämer hebt nun – wie wir oben bereits gesehen haben – hervor, dass im Gegensatz zur illokutionären Kraft, die der Klasse der Sprachhandlungen insgesamt zukommt, die für zeremonielle Performative charakteristische performative Kraft diesen als Sprechhandlungen nur insofern eigne, als sie »Teil einer nichtsprachlichen, zeremoniellen, institutionellen Prozedur« seien (ebd., 142). Sie verdanken also ihre gleichsam ›magische‹ (vgl. hierzu Searle 1989, 549) Fähigkeit, Weltzustand und Aussagengehalt zur Deckung zu bringen dem Umstand, dass sie »in außersprachliche institutionalisierte Praktiken« (Krämer 2001, 141) eingebettet sind. Sie entfalten – könnte man sagen – nur deshalb in der skizzierten Weise ihre performative Wirksamkeit, weil sie, im Gegensatz zu normalsprachlichen Sprechakten, die gleichsam illokutionär autonom sind Sprechakt implizit ist« (vgl. Krämer 2001, 142).’]8, auf die koexistenten Leistungen institutioneller Kontexte, non-verbaler Zeichen und Handlungen zurückgreifen: »Zeremonielle (im Gegensatz zu alltäglichen) Performativa erhalten ihre Geltung nur im Zusammenhang mit den ›kodifizierten rechtlichen, religiösen, staatlichen, wirtschaftlichen oder sportlichen Handlungsmustern‹« (Liedtke 1988, 181), in deren Rahmen sie vollzogen werden und die ihre Existenzbedingung darstellen. Im gewissen Sinne sind also ›archetypische Performativa‹ defizitär, weil sie, so Krämer, die »Eigenschaften, die wir im Horizont der Sprechakttheorie mit den illokutionären Aspekten der Rede verbinden, geradezu außer Kraft« (Krämer 2001, 142) setzen, sie ›dispensieren‹. Krämer versucht ihre Suspensions-These dadurch zu substantiieren, dass sie drei Differenzmerkmale von normalsprachlichem (alltagssprachlichen) und rituellem (außeralltagssprachlichem) Sprechhandeln herausstellt:
(1) Im Gegensatz zur ›dialogischen Urszene‹ des reziproken Sprachgebrauchs, in dem das ›intersubjektive Bindungspotential‹ zwischen Sprecher und Hörer allein durch die illokutionäre Kraft der verwendeten sprachlichen Mittel hergestellt werde, entstehe eine entsprechende, rein sprachlich bewirkte Intersubjektivität nicht bei den Redebeteiligten zeremoniell performativer Sprechhandlungen. Richter, Standesbeamte und Priester gingen als Individualpersonen keine »sozialen Bindungen und Verpflichtungen ein zu denjenigen, die sie verheiraten, taufen, verurteilen« (ebd., 143). Eine Ursache hierfür sieht Krämer in dem Umstand, dass in außeralltäglichen, zeremoniellen Reden dieses Typs nicht eigentlich die nur scheinbar gemeinten Brautleute, Täuflinge und Angeklagten adressiert würden, sondern die Repräsentanten der Öffentlichkeit, die den Zeremonien beiwohnen, also Trauzeugen, Taufpaten und Zuschauer. Der eigentliche Adressat der zeremoniellen Rede sei ein Auditorium und deshalb seien die zeremoniellen Performativa »weniger an der Urszene dialogischer Wechselrede orientiert, als an einer Aufführung mit Aktanten und Zuschauern« (ebd.).
(2) Das zweite Argument für die Suspensionthese leitet sich aus der Formelhaftigkeit und Repetitivität zeremonieller Performativa her, die nicht nur in institutionalisierte Praktiken eingebettet seien, sondern selber rituelle Praktiken darstellten. Da die sprachlichen Mittel hier nur in der Form der Wiederholungsfigur verwendet würden, sei ihre Wirksamkeit nicht mehr in ihrer Bedeutung gegründet, sondern allein in der ›strikten Repetition von Sprachstereotypen‹.9 Das Modell der reziproken, auf gegenseitiges Verstehen gegründeten Verständigung ist hier also insofern außer Kraft gesetzt, als die Ritualisierung der sprachlichen Mittel zu deren Bedeutungsentleerung führt derart, »daß die Semantizität im Sprechen gerade suspendiert ist« (ebd., 143).
(3) Schließlich taugt das alltagssprachliche Modell der dialogischen Rede für Krämer auch deshalb nicht als Erklärungshorizont der rituellen Kommunikation, weil sich hier die Kraft des Performativs »nicht aus den Intentionen und dem Willen des sprechenden Individuums als dem originären und persönlichen Ursprung der Äußerung« (ebd., 144) speist, sondern aus der überpersönlichen Macht der Institution, an der der autorisierte Sprecher zeremonieller Kommunikation partizipiert. Außeralltägliche, rituelle Äußerungen sind nicht wahrheitswertfähig: »Die Frage nach der Wahrhaftigkeit stellt sich bei rituellem sprachlichen Verhalten deshalb nicht, weil gar nichts behauptet, keine Überzeugung zum Ausdruck gebracht wird. Dies ist eine Folge davon, dass rituelle Bedingungen es ausschließen, oder beträchtlich erschweren können, daß Personen die für das Behaupten nötigen Intentionen haben« – so etwa Falkenberg (1982, 113). Austin formuliert das kategorisch so: «[…] offensichtlich rituelle Äußerungen können im grundsätzlichen Sinne keine Lügen sein« (Austin 1946, 174, zit. n. Falkenberg 1982, 112 (meine Übersetzung, L.J.)).
Krämer formuliert hier in einer sprachteoretischen Perspektive in konzentrierter Form die Gründe, die vielen der in der anthropologischen Literatur auffindbaren Urteilen über den Status der außeralltäglichen Sprache in ritueller Kommunikation, aber etwa auch den Annahmen Luhmanns und Gadamers, mehr oder minder explizit zugrundeliegen. Man darf in der zentralen These Krämers, dass zeremonielle Sprechakte »keine rein sprachlichen Ereignisse« seien, sondern »vielmehr soziale Handlungen« (Krämer 2001, 141), dass in ihnen also »die vertrauten Züge des gewöhnlichen Sprechens außer Kraft« gesetzt seien (ebd., 144), ein Urteil sehen, das in weiten Teilen des sozialanthropologischen und sprachphilosophischen Forschungsdiskurses über die rituelle Sprache verhängt wird. Die Verankerung der rituellen Sprache im Außersprachlichen, ihre Einbettung in non-verbale Symbolverwendungen und Praktiken sowie die damit verknüpfte »Dispensierung des Illokutionären« (ebd., 142) löst sie aus dem Kosmos normalsprachlicher Sprachspiele heraus. Sowohl im Hinblick auf die Reziprozität persönlicher Adressierung als auch hinsichtlich der Semantizität und individuell-originären Intendiertheit der kommunizierten sprachlichen Mittel erfülle sie – so ein breiter Konsens – nicht die Kriterien normaler Sprachlichkeit.
4. Zur Kritik der ›Suspensionsthese‹
Ich möchte nun im abschließenden Teil meiner skizzenhaften Überlegungen den Versuch unternehmen, einige Erwägungen vorzutragen, aus denen sich möglicherweise eine Relativierung der Suspensionsthese und eine Rehabilitierung der außeralltäglichen Sprache des Rituals im Hinblick auf eine ihr durchaus zukommende, nicht eingeschränkte Sprachlichkeit ableiten lässt. Zunächst scheint es mir sinnvoll zu sein, darauf hinzuweisen, dass auch für die Alltagsrede gilt, dass ihre Äußerungen handlungskontextuell situiert, d. h. in ›Gepflogenheiten, Gebräuche und Institutionen‹10 eingebettet sein müssen, ebenso wie umgekehrt die außeralltägliche, rituelle Sprache über das Vermögen der personalen Adressierung, über bestimmte Formen der Semantizität (semantisches Gehaltvollsein) sowie die Möglichkeit verfügt, auch im Rahmen von rituellen Sprechhandlungen individuell zu intendieren. In der Tat sind ja die Defizienzanzeigen, denen sich die rituelle Sprache ausgesetzt sieht, nur so stichhaltig, wie wir legitimerweise davon ausgehen können, dass die dialogische, personal interaktive Rede – zudem in dem sehr eingeschränkten Sinne der »Wechselrede zwischen Alter und Ego« (Krämer 2001, 142; vgl. ebenso etwa Gadamer 1993, 416) – als normativer Horizont der Differenzbestimmung herangezogen werden darf. Es spricht aber einiges dagegen, dass das Sprachspiel der ›leibanwesendlichen‹ Wechselrede als der Prototyp umgangssprachlicher Rede schlechthin angesehen zu werden vermag. Man kann hier mit Wittgenstein daran erinnern, dass der Kosmos natürlicher Sprachen durch eine unübersehbare Vielzahl verschiedener Sprachspielformen bestimmt ist:11 »Die Sprache ist für uns nicht als Einrichtung definiert, die einen bestimmten Zweck erfüllt« (Wittgenstein 1984, 348). Man müsse – so Wittgenstein – »mit der Idee brechen, die Sprache funktioniere immer auf eine Weise, diene immer dem gleichen Zweck: Gedanken zu übertragen« (Wittgenstein 1967, §304). Im Horizont der verschiedenen Sprachspiele und Funktionsweisen von Sprache können außeralltäglich rituelle und alltäglich dialogische Rede vielleicht als Exponenten differenter Funktionsformen angesehen werden, aber sicher nicht als Exemplare verschiedener Gattungen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass der Gebrauch ›zeremonieller Performativa‹ im Hinblick auf die universalen Eigenschaften der Sprache anderen Prinzipien folgt als die dialogische Wechselrede. Beide greifen, wenn auch wohl in unterschiedlicher Gewichtung, auf das Ensemble struktureller Eigenschaften zurück, die der ›Artenvielfalt‹ der unterschiedlichen Sprachspielformen allgemein zugrundeliegen. Auch die These, dass es eine charakteristische Eigenart der (autorisierten) Verwendung zeremonieller Performativa sei, dass der Redner12 (Priester, Standesbeamte oder Richter), da er an der Macht der Institution partizipiert, für die er spricht, seine Äußerungen nicht persönlich intendiert, macht sich, so könnte man wiederum mit Wittgenstein sagen, »ein irreführendes Bild vom ›Beabsichtigen‹«: Die Absicht ist nämlich, so Wittgenstein, immer »eingebettet in der Situation, den menschlichen Gepflogenheiten und Institutionen. Gäbe es nicht die Technik des Schachspiels, so könnte ich nicht beabsichtigen, eine Schachpartie zu spielen« (ebd., §337). Auch in den Sprachspielen der alltagssprachlichen Umgangssprache setzt die subjektive Intention, etwas zu versprechen, jemanden zu überzeugen, oder etwas zu hoffen, die intersubjektiven Institutionen des Versprechens, der Hoffnung oder der Überzeugung voraus.13 Auch hier wird die ›Privatheit‹ der subjektiven Intention erst ermöglicht durch die Existenz überindividueller ›Handlungsmuster‹. Thambiahs These, »daß der größte Teil der Intentionen der Akteure bezüglich Zweck und Ergebnis des Rituals schon kulturell definiert, vorausgesetzt und konventionalisiert ist« (Tambiah 2002, 222, FN 16), trifft auch im alltagssprachlichen Gebrauch auf das Verhältnis von subjektiven (›privaten‹) Intentionen und die ›kulturell definierten‹, (vielleicht auch universalen) Intentionstypen14 zu. Ob es überhaupt sinnvoll und epistemologisch zulässig ist, wie Tambiah von einer Trennung zwischen der ›Privatheit‹ der Intentionen und der ›Öffentlichkeit‹ der rituellen Performanz auszugehen, soll hier dahingestellt bleiben. Es könnte uns also, wenn wir das Verhältnis von ›ritueller‹ und ›normaler‹ Sprache näher ins Auge fassen, so gehen wie Austin mit seiner Unterscheidung zwischen performativen und konstatierenden Äußerungen: Es könnte sein, dass die rituelle Sprache ebenso wesentliche Eigenschaften mit der ›wahren‹ dialogischen Rede Gadamerscher Provenienz teilt, wie umgekehrt Stereotypie, Repetitivität und semantische Leere in der Umgangssprache verbreiteter sein könnten, als die normativen Ideale der Dialogizität dies zuzulassen scheinen.
Es hat also den Anschein, als ob sich die außeralltägliche Sprache der Rituale in ihren konstitutiven Eigenschaften nicht ohne weiteres und angemessen durch die Suspensionstheorie charakterisieren ließe. Interessanterweise hat gerade Tambiah in seinen Analysen zu der Frage, »wie die Sprache der Rituale operiert« (Tambiah 1985a, 35), Hinweise dafür gegeben, dass auch rituelle Sprache (1) durchaus personal adressiert sein kann – was sie etwa in Heilungsritualen, Initiationsriten und Schönheitsmagien ohne Zweifel ist15, dass (2) rituelle Sprache keineswegs notwendigerweise semantisch leer oder gar »dunkel und wirr« (zit. n. Tambia 1985a, 47) sein muss, wie dies Malinowski in seiner Charakterisierung des Farbsymbolismus in den Zaubersprüchen der Trobriander angenommen hatte; gerade für diese hatte Tambiah gegen Malinowski überzeugend nachweisen können, dass eine Analyse ihrer metaphorischen und metonymischen Struktur eine konsistente innere Semantik freizulegen vermag (vgl. Tambiah 1985a, 41, 47); und schließlich, dass (3) es durchaus möglich sei, die ›Sprache und Zeichen der Rituale‹ intendiert zu verwenden, was etwa die »elaborierten Inszenierungstechniken« deutlich machen können, die Gerd Althoff (2001, 52) am Beispiel mittelalterlicher Unterwerfungsrituale überzeugend rekonstruiert hat. Wenn dem so wäre – und es spricht, wie mir scheint, einiges dafür – würde rituelle Sprache keineswegs notwendigerweise als interaktionsfreie Adressierung eines diskurs-transzendenten Publikums prozessiert; auch operierte sie dann nicht durchgängig im Horizont einer iterationsgenerierten semantischen Leere und stünde schließlich auch nicht generell unter dem Diktat eines intentional nicht zuschreibbaren Reproduktionsschemas symbolischer Stereotype: sie vermöchte vielmehr durchaus wie die alltägliche Sprachverwendung Interaktionspartner zu adressieren sowie semantisch gehaltvoll und intendiert zu prozessieren. Die angemessene Einschätzung der Semantizität von ritueller Sprache ist – wie ebenfalls Tambiah gezeigt hat – nur möglich, wenn sie auf beiden Ebenen, den ihrer inneren und ihrer äußeren Semantik, rekonstruiert wird: (1) auf der Basis also sowohl ihrer – mit nonverbalen (z. B. technischen) Handlungen synchronisierten – metaphorischen und metonymischen Struktur16, als auch (2) ihrer funktionalen Beziehung zum extra-rituellen Kontext (vgl. Tambiah 1985a, 48), einer Beziehung, in der sich insbesondere die »indexikalische« Bedeutung ritueller Kommunikation zeigt: während auf der ersten Ebene – wie Tambiah etwa an den Ritualen der Trobriander deutlich gemacht hat – als semantischer Gehalt ein »lebendiges mit technologischer und sozialer Praxis verbundenes Wissen« (ebd., 40) situiert ist, erweist sich die zweite Ebene als Ort einer phatischen Kommunikation, die die Funktion hat – etwa im Kontext von Beerdigungsriten – durch indexikalische Zeichen den sozialen Rang und die Privilegien der adressierten Personen anzuzeigen (vgl. ebd., 156ff.). Auch wenn auf der Ebene innerer Semantik die referentielle Bedeutung ritueller ›Texte‹ verlorengegangen ist, heißt das nicht, dass die Rituale auf der pragmatischen Ebene kommunikativen Sinns nicht mehr wirksam wären. Aus Goodys Feststellung, dass bei der heutigen rezitativen Verwendung von Sanskrit-Mantras in Taiwan und Japan diese – wie er feststellt – für die rezenten Nutzer viel von ihrer früheren semantischen Bedeutung eingebüßt haben, folgt deshalb nicht notwendigerweise, dass sie – wie Goody annimmt – im Zuge der historischen Tradierung ihre Informativität verloren hätten. are no longer understood linguistically by the vast majority of those who repeat them.«’]17 Wie Tambiah an thailändischen Mantras und an dem als heilige Sprache verwendeten toten Pali aufweisen konnte, waren beide rituellen Sprachformen zwar für die meisten Mitglieder der jeweiligen Gemeinde auf der Ebene der inneren Semantik unverständlich, gleichwohl aber – wie dies für viele heiligen Sprachen der Wortreligionen allgemein gilt18 – auf der äußeren Ebene phatischer Kommunikation für die Laien durchaus kommunikativ wirksam.19 Nur wenn man unberechtigterweise Bedeutung mit propositionalem Gehalt gleichsetzt, verkennt man – so Tambiah – dass rituelle Kommunikation als soziale Kommunikation »wenig mit der Übermittlung neuer Information, aber alles mit der interpersonalen Orchestrierung sowie sozialer Integration und Kontinuität zu tun hat« (Tambiah 1985b, 138; vgl. ebenso ebd., 163).
Auch das in der Suspensionstheorie stark hervorgehobene Argument der stereotypen Iterativität der Verwendung ritueller sprachlicher Mittel kann – wie wiederum die Untersuchungen Tambias, aber auch die Analysen Althoffs zeigen – nicht ohne weiteres als Indiz für semantischen Leerlauf angesehen werden. So wird etwa in den bereits erwähnten Beerdigungsriten der Thai – je nach dem sozialen Rang des Verstorbenen und der finanziellen Potenz von Sponsoren – dieselbe Kollektion von Pali-Gesängen in einer stereotypen und unveränderlichen Performanz von Mönchen unterschiedlich häufig wiederholt. Und obwohl diese rituelle Gesangs-Wiederholung – auch im Hinblick auf die Unverständlichkeit der Texte – keine Bedeutung im Sinne einer referentiellen Semantik enthält, lässt sich an der Häufigkeit und Intensität der identischen Iteration doch eine differenzierte indexikalische Semantik ablesen (vgl. ebd., 162f.). Ein weiterer Aspekt der Semantizität von Iteration verdient hervorgehoben zu werden: Bereits Milman Parry und Albert B. Lord haben an der für mündliche Kulturen charakteristischen Wiederholung von Gesängen der oral poets, die durch – in der Erinnerung bewahrte – formula gesteuert wurden, das Moment der Variation hervorgehoben, durch das deren Tradierung zu einem konstanten Prozess der Rekreation wurde. Bei jeder rezitativen Aufführung verlängerten oder kürzten die Poeten ihre Gesänge, ornamentierten sie neu und passten sie so an die Bedürfnisse und an den Charakter des Publikums oder an andere soziale Umstände an. He has demonstrated how the oral poet, whose basic capital is a stock of memorized formulas, varies and ornaments his songs, lengthens or shortens them, according to the demand and character of the audience and other situational circumstances, and how in fact he preserves the tradition by the constant recreation of it.« Vgl. auch Tambiah 1985b, 124.’]20 Überhaupt – und hierin scheint mir eine grundlegende Quelle sozialer Sinngenerierung zu liegen – müssen die mit der iterativen Stereotypie von Ritualen eng verknüpften Eigenschaften der Erwartbarkeit und Voraussagbarkeit identischer Performanz als attraktive Kandidaten für die Erzeugung von Information durch Abweichung angesehen werden. Für ein von Althoff analysiertes mittelalterliches Unterwerfungsritual hat dieser überzeugend gezeigt, dass die öffentliche Aufführung des Rituals und seiner Einzelakte (Kniefall etc.) in einen diskursiven inszenatorischen Rahmen eingebettet war, in dem Vermittler der Parteien die Dramaturgie des Ritualverlaufs detailliert vorklärten: waren […] keineswegs in das Belieben der Ausführenden gestellt, sondern zuvor durch Vermittler verbindlich abgesprochen worden. Mit anderen Worten: Durchführung und Ausgang waren festgelegt und wurden von neutralen Personen garantiert.«’]21 »Man hat sehr genau überlegt, was man zum Ausdruck bringen wollte, und dementsprechende Ausdrucksformen gefunden« (Althoff 2001, 53). Gerade vor dem Hintergrund stereotypisierter Erwartungen des Publikums konnten insofern in das non-verbale Verhalten der Ritual-Partizipanten durch Abwandlung von Details semantische Effekte mit gezielter kommunikativer Wirksamkeit eingeschrieben werden: »Diejenigen, die die Durchführung des Rituals festlegten, haben sich also sehr genau überlegt, was in diesem speziellen Falle abweichend von den Grundformen des Rituals zum Ausdruck gebracht werden sollte. Solche Überlegungen machten aber nur dann Sinn, wenn man damit rechnen konnte, daß die Veränderungen vom Publikum auch gesehen und verstanden wurden.«22 Inszenatorischer Diskurs, non-verbale Handlungsfolgen und Symboliken sowie öffentliche Rezeption durch ein Publikum, dessen hermeneutischer Horizont sich an der Kenntnis vergangener Ritualabläufe ausgebildet hatte, bildeten ein multimediales und von verschiedenen Akteuren getragenes Dispositiv, in dem sozial bedeutsames Konfliktbewältigungswissen ebenso archiviert wie für die potentielle Um- bzw. Neuschreibung disponiert war. Was an der Analyse Althoffs deutlich wird – und dies haben auch die Untersuchungen Tabiahs sichtbar gemacht – ist die Tatsache, dass Rituale Texturen sind, die auf mehreren symbolischen und Handlungsebenen inszeniert werden, wobei diese zueinander in einem spannungsreichen transkriptiven23 Verhältnis wechselseitiger semantischer Explikativität stehen. Rituale mögen zwar – wie Tambiah sie genannt hat – multimediale Amalgame sein; sie sind dies sicherlich jedoch nur insoweit, als die semantischen Wechselbezüge zwischen den einzelnen medialen und aktionalen Komponenten – und damit die Dynamik transkriptiver Sinngenerierung – niemals vollständig in einer holistischen Synthese des Ritualganzen stillgestellt werden können: Die Ebene der inszenatorischen Diskurse ebenso wie die Ebene non-verbaler Symbolik und Aktion wie auch die Ebene der stereotypisierten, aber produktiv enttäuschbaren Erwartung des Publikums bilden zwar in ihrem größeren sozialen und kulturellen Kontext ein synthetisiertes rituelles Dispositiv, ohne dass allerdings die Bewegung der transkriptiven Relationen zwischen den einzelnen Systemkomponenten jemals vollständig zur Ruhe käme.24 Insofern scheint die Funktion von Ritualen in der Charakterisierung Luhmanns, Rituale seien »Coupiertechniken, mit denen man das Reflexivwerden der Kommunikation erfolgreich verhindern kann« (Luhmann 1983, 613), nicht angemessen und nicht exhaustiv beschrieben zu sein. Sowohl in die von Tambiah freigelegte Beziehung zwischen innerer und äußerer Semantik von Ritualen, als auch in die von Althoff herausgearbeitete Verwebung von inszenatorischer Dramaturgie und symbolisch-aktionaler Performanz ist unaufhebbar die nicht stillstellbare Möglichkeit des ›Reflexivwerdens der Kommunikation‹ und damit der Ingangsetzung des transkriptiven Spiels auch in Ritualen eingeschrieben. Transkriptive Spannungen dieses Typs zeigen sich in der von Horst Wenzel aufgezeigten ›multisensorischen Ausgestaltung der mittelalterlichen Liturgie‹ (vgl. Wenzel 1995) ebenso wie in dem von Jan Dirk Müller untersuchten Wechselspiel zwischen ›Performanzkultur‹« und ›Schriftkultur‹ (vgl. Müller 2001). Beide deuten die sich in Gebeten, Gesängen, Lesungen, Gebärden und Bewegungen im Kirchenraum ausbildende Intermedialität der Liturgie als »Kompensation für den Ausschluss der Laien vom liturgischen Vollzug selbst, für die Unverständlichkeit des lateinischen Textes und seine Unzulänglichkeit als Schrift« (Müller 2001, 66). Die verlorengegangene ›innere Semantik‹ der Schrift wird gleichsam durch die ›indexikalische Semantik‹ der liturgischen Performanz transkribiert, die ihrerseits im lateinischen Text ihre skripturale Transkription hat. Auch hinter dieser indexikalischen Ausfaltung der sakralen Semantik in der liturgischen Performanz darf man inszenatorische Diskurse vermuten, die als weitere Transkriptionsebene in das Dispositiv des liturgischen Rituals eingehen. Es ist deshalb vielleicht nicht ganz unangemessen – bei aller Dominanz nonverbaler Symbolik und Aktion in den unterschiedlichen intermedialen Bewegungen der ritualen Performanz – die Sprache doch als ein durchaus zentrales Medium der latenten oder manifest werdenden transkriptiven Semantik anzusehen, die so zu einem konstitutiven Moment in der medialen Logik von Ritualen würde.
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1 Vgl. etwa Goffman 1974, 97f.: »In der heutigen Gesellschaft sind überall Rituale gegenüber Repräsentanten übernatürlicher Entitäten ebenso im Niedergang begriffen wie extensive zeremonielle Agenden, die lange Ketten obligatorischer Riten implizieren. Übriggeblieben sind kurze, von einem Individuum gegenüber einem anderen vollzogene Rituale, die Höflichkeit und wohlmeinende Absicht auf seiten des Ausführenden und die Existenz eines geheiligten Patrimoniums auf seiten des Empfängers bezeugen. Kurz, was bleibt, sind interpersonelle Rituale. Diese kleinen Pietäten sind nur eine armselige Variante dessen, wonach Anthropologen in ihrem Reich suchen.« Vgl. etwa auch Goffman 1971.
2 Tambiah versteht Rituale als »Amalgame oder Ganzheiten, die gleichermaßen konstituiert sind aus Wörtern und Taten, aus Sprache und mit ihr verflochtener Manipulation von Objekten, aus simultanem und sequentiellem Gebrauch multimedialer Kommunikation (auditorisch, taktil, visuell und olfaktorisch) sowie aus Darstellungsformen wie Song, Tanz, Musik, Rezitation etc.« (Tambiah 1985a, 1; meine Übersetzung).
3 Vgl. Austin 1962 und 1968; zur Unterscheidung von zeremoniellen (›ceremonial‹) und alltäglichen (›vernacular‹) Performativa vgl. Fraser 1974; hierzu insgesamt die scharfsinnige Analyse von Frank Liedtke in Liedtke 1998, 181–187; eine medientheoretische Analyse Austins hat Sybille Krämer vorgelegt; vgl. Krämer 2001, 134–153.
4 Diese terminologische Unterscheidung trifft Strawson in: Strawson 1974, 79; vgl. hierzu Liedtke 1998, 182f.; ebenso Krämer 2001, 145.
5 Vgl. Luhmann 1997, 235: »Rituale ermöglichen eine Kommunikationsvermeidungskommunikation. Die einschlägige Literatur hebt hervor, daß Formen stereotypisiert und andere Möglichkeiten ausgeschlossen [werden, L.J.], also Kontingenz auf Notwendigkeit reduziert wird. An die Stelle der Öffnung für ein Ja oder Nein zu angebotenem Sinn tritt das Gebot, Fehler mit schwerwiegenden Folgen zu vermeiden. Wichtiger noch ist, daß das Ritual überhaupt nicht als Kommunikation vollzogen wird. […] Es differenziert nicht zwischen Mitteilung und Information, sondern informiert nur über sich selbst und die Richtigkeit des Vollzugs. Es bietet sich in ausgesuchter, auffälliger Form (wie die Sprache) der Wahrnehmung dar. Aber genau dies geschieht nicht an beliebigen Stellen, sondern nur dort, wo man glaubt, eine Kommunikation nicht riskieren zu können.«
6 In dieser These spiegelt sich noch die Ansicht Malinowskis von der kategorialen Differenz von magischer und als solcher eminent unverständlicher Sprache und der Alltagssprache: »The essence of verbal magic, then, consists in a statement which is untrue and which stands in direct opposition to the context of reality« (Malinowski 1965b, 235; vgl. zur Kritik dieser Annahme Malinowskis Tambiah 1985a, 30ff.).
7 Im Gegensatz zu ihrem rituellen Leben bildet sich im »wahren Leben der Sprache (…) dagegen das Miteinander aus, und das vor allem in Gesprächen” (Gadamer 1993, 416).
8 Hier verdankt sich die illokutionäre Kraft – wie Krämer formuliert – einem »intersubjektiven Bindungspotential zwischen Sprecher und Hörer«, das »tatsächlich jedem [alltagssprachlichen] Sprechakt implizit ist« (vgl. Krämer 2001, 142).
9 Ähnlich wie Tambiah führt Krämer hier das Argument der psychischen Distanz an: Die Wirksamkeit der rituellen Kommunikation sei »im Grunde unabhängig davon, was jeder sich dabei denkt« (Krämer 2001, 144).
10 Vgl. Wittgenstein 1997, §199: »Einer Regel folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine Schachpartie spielen sind Gepflogenheiten (Gebräuche, Institutionen).«
11 Vgl. etwa Wittgenstein 1967, §23 (Herv. i.O.): »Wieviel Arten von Sätzen gibt es aber? Etwa Behauptung, Frage und Befehl? – Es gibt unzählige solcher Arten: unzählige verschiedenen Arten der Verwendung alles dessen, was wir »Zeichen«, »Worte«, »Sätze«, nennen. Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für allemal Gegebenes; sondern neue Typen der Sprache, neue Sprachspiele, wie wir sagen können, entstehen und andre veralten und werden vergessen.«
12 Das Genus wird hier genderneutral verwendet.
13 Searle etwa hat gezeigt, dass philosophische Ansätze unhaltbar sind, die versuchen, »kollektive oder Wir-Intentionalität auf individuelle oder Ich-Intentionalität zurückzuführen« und die These vertreten, dass »sich meine individuelle Intentionalität von meiner kollektiven Intentionalität herleitet« (vgl. Searle 2001, 142f.; Kursivierung von mir, L.J.). Dass eine Person Sprechhandlungen »absichtlich an eine andere richtet«, funktioniert – wie Tomasello feststellt – »nur dann, wenn beide Beteiligten mit einer psychologischen Infrastruktur von Fertigkeiten und Motivationen geteilter Intentionalität ausgestattet sind« (vgl. Tomasello 2011, 363; Kursivierung von mir L.J.).
14 Vgl. zu den verschiedenen Illokutionstypen Searle 2001, 176ff.
15 Vgl. Tambiah 1985a, 51; ebenso 53: »Thus, it is possible to argue that all ritual, whatever the idiom, is addressed to the human participants and uses a technique which attempts to restructure and integrate the minds and emotions of the actor.«
16 Vgl. Tambiah 1985a, 35; ebenso 53: »It is a truer tribute to the savage mind to say, rather than being confused by verbal fallacys or acting in defiance of known physical laws, it ingeniously conjoins the expressive and metaphorical properties of language with the operational and empirical properties of technical activity. (…) Language figures importantly in this double relation of ritual to myth on the one hand and to instrumental action on the other.«
17 Vgl. Goody 2000, 58f.: »There is a significant sense in which the words themselves may also be not exactly meaningless but semantically slim, if only because by being part of a text, they persist over time or space and thus may lose much of their earlier semantic significance. Sanscrit mantras recited in contemporary Taiwan or Japan […] are no longer understood linguistically by the vast majority of those who repeat them.«
18 Vgl. Tambiah 1985a, 24, der darauf hinweist, dass die Disjunktion zwischen heiliger und profaner Sprache für das Latein der okzidentalen katholischen Kirche, das Hebräisch des Judentums, das vedische Sanskrit der Hindus und das Arabische der Muslime charakteristisch ist.
19 Vgl. Tambiah 1985a, 22–30; vgl. hierzu besonders etwa 26f., wo es über die Unverständlichkeit des Pali für den buddhistischen Laien heißt: »He believes quite rightly that for those who know Pali the words contain great wisdom and sense; his ignorance is a reflection of his unworthiness and involvement in an inferior mode of life compared with that of the monk.«
20 Vgl. Tambiah 1985b, 140f.: «Let me briefly allude here the creative role of the »formula«, a term applied by Lord (1958) and Parry before him, to »repeat word groups« that express an essential idea, in generating and producing an actual recitation as performance. […] He has demonstrated how the oral poet, whose basic capital is a stock of memorized formulas, varies and ornaments his songs, lengthens or shortens them, according to the demand and character of the audience and other situational circumstances, and how in fact he preserves the tradition by the constant recreation of it.« Vgl. auch Tambiah 1985b, 124.
21 Vgl. Althoff 2001, 52: »Solche Einzelakte [Kniefall etc., L.J.] waren […] keineswegs in das Belieben der Ausführenden gestellt, sondern zuvor durch Vermittler verbindlich abgesprochen worden. Mit anderen Worten: Durchführung und Ausgang waren festgelegt und wurden von neutralen Personen garantiert.«
22 Vgl. Althoff 2001, 53: »Die Akteure wußten um den Zeichencharakter ihrer oft über-emotionalisiert wirkenden Handlungen und Äußerungen, die den Prinzipien der Eindeutigkeit und Unmißverständlichkeit verpflichtet waren.«
23 Vgl. zum Begriff der Transkriptivität Jäger 2002, 2012a.
24 Zum Begriff der Medienbewegung vgl. Jäger/Fehrmann/Adam 2012.