Grenzerfahrungen am Beispiel LIGNAs Oedipus der Tyrann.
Eine Befreiungsphantasie1

Kristin Westphal

»Was sollt ich sehen,
dem sehend nichts zu schauen süß war.
Nachtwolke mein! / Umwogend. /
Unaussprechlich. / Unbezähmt. / Unbewältigt.
Wo ich es nicht gedurft, hab ich getötet.«
(LIGNA: Oedipus der Tyrann. Eine Befreiungsphantasie)

 

1. Grenzerfahrungen in Theater und Bildung

Peter Brook, Klassiker des modernen Theaters, beschreibt den geteilten Raum, wie er sich im Theaterspiel entfaltet, mit dieser prominent gewordenen Aussage:

Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen. Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist (Brook 2012, 12).

Peter Brook spricht die Grenze zwischen Akteuren und Zuschauern an, deren Gestaltung bzw. Überschreitung für jede Aufführung geltend zu machen ist. Wann immer diese Grenze eingeebnet, überwunden oder verschoben wird, entstehen im Theater neue Erfahrungsräume, die sich aus einer immer wieder neu verhandelbaren Grenzziehung zwischen Bühnen- und Zuschauerraum, zwischen Fiktion, Möglichkeit und Wirklichkeit konstituieren. Geht es Peter Brook im Verlauf seiner Theatertätigkeit vornehmlich um den Schauspieler und dessen Relation zum Zuschauer, richtet sich unser Augenmerk vor dem Hintergrund einer Vielzahl zeitgenössischer Verfahrensweisen in Theater und Performance auf den Zuschauenden als Mitspieler eines Geschehens bzw. einer Grenzüberschreitung, der er ausgesetzt wird, die ihm widerfährt (vgl. Westphal 2013). Die neue Herausforderung und Suchbewegung, wie sie in zeitgenössischen Produktionen erprobt wird, reflektiert Barbara Gronau folgendermaßen:

Der vormals stumme gesichtslose Augenzeuge wird nunmehr körperlich adressiert, sinnlich verführt, latent bedroht oder buchstäblich unterworfen. Über sinnliche Wahrnehmung, leibliche Bewegung oder handelndes Eingreifen sollen die Zuschauer zu engagierten Teilnehmern, Mitspielern werden (Gronau 2010, 82).

Rancière formuliert das Paradox analog zu Peter Brook, dass es kein Theater geben könne ohne Zuschauer. Seine Diagnose des Zuschauers im Theater fällt jedoch gegenüber dem Status des Schauspielers als Akteur im Verhältnis zur Passivität des Zuschauers kritisch aus, dergestalt der Zuschauer einer Erscheinung gegenüberstehe, von der er weder den »Herstellungsvorgang noch die Wirklichkeit, die von der Erscheinung verdeckt wird, kennt« (Rancière 2012, 12). Auch bleibe der Zuschauer, wie es Sartre schon als Ohnmacht beschrieben hat, »unbeweglich passiv auf seinem Platz und auf diese Weise von der Tätigkeit der Erkenntnis und der Handlung getrennt« (ebd.).1 Er fordert ein Theater in seiner »ursprünglichen Tugend«, ein Theater ohne Zuschauer, »wo die Anwesenden lernen, anstatt von Bildern verführt zu werden, aktive Teilnehmende werden, anstatt passive Voyeure zu sein« (Rancière 2012, 14). Das Theater sei so gesehen der letzte Ort der Konfrontation des Publikums mit sich selbst als Kollektiv.3

Nun gehört die Zeugenschaft nicht nur zu den Grundmotiven einer Phänomenologie des Theaters (vgl. Roselt 2008), sondern auch der responsiven Phänomenologie. »Am Anfang steht nicht jemand, der oder die von sich aus handelt, sondern jemand, dem oder der etwas geschieht« (Waldenfels 2010, 274). Die pathische und responsive Seite einer Theatersituation bzw. Theatererfahrung aus der Perspektive des Zuschauers zu beleuchten, ist leitend für die nachfolgende phänomenologisch geleitete Analyse. Zugrunde gelegt wird die Beobachtung, dass sich im Verlaufe des späten 20. Jahrhunderts bis heute die Aufmerksamkeit vom Verhältnis des Schauspielers und dessen Relation zum Zuschauer – ein Erbe des 18. Jahrhunderts, wie Hans-Thies Lehmann konstatiert (vgl. Deck/Sieburg 2008) – auf die Befragung der Rolle des Rezipienten mit den unterschiedlichen Akzenten auf eine Teilhabe eher mehr als Akteur bzw. Respondent verschoben hat. Der von uns vertretene phänomenologische Zugang ist mit Blick auf neuere zeitgenössische Verfahrensweisen und die genannten Perspektivwechsel in der Theater- und besonders Performancekunst in pädagogischen Kontexten von daher eine wichtige metatheoretische und methodologische Referenz, insofern eine responsive Leiblichkeit, Be- und Entzug, Lebenswelt, Differenz- und Fremderfahrung etc. Bezugsgrößen für die Beschreibung und Analyse neuerer Verfahrensweisen, Rezeptions- bzw. Produktionsweisen in den Künsten bedeuten, die von einem offenen, unabschließbaren Kunst- und Bildungsbegriff ausgehen (vgl. Westphal 2018). Er erlaubt einen Anschluss an die Frage, wie Erfahrungen in künstlerischen Ereignissen als (Selbst)Bildungsereignisse organisiert und strukturiert sind (Westphal 2015a; 2019). So ist die Phänomenologie – zugespitzt formuliert – auch eine Art von ›experimenteller Forschung‹, die das Feld unserer sinnlich-leiblichen und kulturellen Ordnungen erkundet und danach fragt, was die Störungen, Irritationen usw. für ›Erfahrungen‹ und Widerfahrnisse (als Lernprozesse) bedeuten.4 »Die Phänomenologie, die mit dem Begriff des Sinn- und Erfahrungshorizontes einen Grenzbegriff par excellence einsetzt, arbeitet auf ihre Weise an der Frage, wie man Grenzen beschreibt und überschreitet, ohne sie aufzuheben« (Waldenfels 2002, 814).

Die phänomenologische Perspektive, Bildung als responsives Antwortgeschehen vor dem Hintergrund einer leiblichen Verwicklung in kulturellen Lebenswelten zu begreifen, rüttelt an der Vorstellung eines Bildungsverständnisses, das Bildung als bloßen Aneignungsprozess eines souveränen Subjekts begreift, der ihm mehr oder weniger äußerlich, weil rational, bleibt. Das Subjekt gerät vielmehr in der phänomenologischen Betrachtungsweise in eine gedoppelte Position: Das Subjekt ist ein aktives Selbst, sofern es Antworten hervorbringt, indem es sich leiblich-konkret auf das Andere einlässt, und es ist zugleich Teil eines Kontextes, dem es sich erfahrend überlässt, über den es nicht vollständig verfügt und in dem es gerade nicht auf sich selbst zurückkommt (vgl. Westphal/Zirfas 2014). Zu überprüfen wäre diese Annahme anhand einer Theatersituation, die es darauf anlegt, den Besucher als Mitspieler in den verschiedenen Perspektiven dahingehend herauszufordern.

 

2. LIGNA Hamburg: Oedipus der Tyrann. Eine Befreiungsphantasie

Unser Beispiel entnehmen wir einer Performance, die im Rahmen des Live Art Festivals auf Kampnagel in Hamburg (1.-11.6. 2011) uraufgeführt wurde: Oedipus der Tyrann. Eine Befreiungsphantasie. Die Gruppe LIGNA besteht seit 1997 und ist vornehmlich mit Projekten bekannt geworden, die Ordnungen in semi-öffentlichen Räumen thematisieren und unterlaufen (vgl. Michaelsen 2013, LIGNA 2011). Über Kopfhörer mit einem Funkradio verbunden empfangen die TeilnehmerInnen choreografische Anweisungen verbotener und ausgeschlossener Gesten an öffentlichen und privatisierten Orten wie dem Leipziger Hauptbahnhof oder einer Einkaufsmall in Hamburg. Mit der hier besprochenen Hörperformance geht das Kollektiv nun in den geschlossenen Theaterraum, um diesen als Theaterraum bzw. als tragischen Raum zu befragen. Ausgangspunkt für die Bearbeitung von Oedipus der Tyrann sind Übersetzungen und Interpretationen von Hölderlins Sophokles, durchsetzt mit Referenzen aus dem Anti-Ödipus von Gilles Deleuze und Felix Guattari (1977), sowie u.a. Bearbeitungen nach Heiner Müller, die zu eigenen Auslegungen der szenisch angelegten Situationen beitragen (LIGNA Skript 2011; vgl. van Eikels/Frahm 2015).

Vor dem Betreten des Theaterraums werden gegen Pfand ein MP3-Player sowie eine Mullbinde zugeteilt. Jedes der Geräte beherbergt eine andere Tonspur (was der Proband nicht weiß). Alle hören mit Kopfhörern Radio, das über vier kleine, unter der Decke angebrachte Sender ausgestrahlt wird. Das Radio teilt das Publikum in vier Gruppen, die nacheinander unterschiedliche Positionen einnehmen. Aufgefordert werden wir zur Einnahme von Gesten, zur Ausführung von Bewegungen, Übungen und zu Interaktionen mit Anderen. Über Kopfhörer werden neben den Handlungsanweisungen die Stimmen von Iocaste, Ödipus oder dem Chor und dem Seher eingespielt. Die Situationen und die Stimmen evozieren Bilder und Imaginationen. Was als nächstes für den Teilnehmer geschieht, bleibt dabei unvorhersehbar. Das ›Publikum‹ hört und agiert somit gleichzeitig und wird aufgefordert, sich in den verschiedenen Perspektiven zu erproben. Mal findet man sich als Vater-Mörder, mal als Zeuge in der Rolle des Sehers Teiresias, mal als Opfer als Leiche am Boden wieder, mal in bereit gelegten Handspiegeln ›sich selbst‹ erkennend, mal als Zuschauender oder als tanzender Chor bzw. Sprechchor agierend, um nicht zuletzt gemeinsam mit allen als Blinde – die Mullbinde um Kopf und Augen gewickelt – den Weg aus dem Raum zurück zum Ausgang wieder zu finden.

2.1 Eintritt als Auftritt

Wir treten in eine der kargen Hallen auf Kampnagel ein: schwarzer Steinboden, gekalkte Wände, alte zugehängte Fenster, schummriges Licht, das aus einzelnen gedimmten Strahlern den Raum in eine Art Blackbox verwandelt. Neugierige Blicke fallen auf die anderen Teilnehmer, den Raum abtastend und -schreitend orientieren wir uns. Unterbrochen wird die Situation durch eine erste Anweisung über Kopfhörer. Der Diener spricht:

Suche Dir eine Stelle im Raum, an der du dich gut fühlst. Setze dich bequem hin. Schaue um dich. Schaue denjenigen, die in deiner Nähe sitzen, in die Augen, betrachte sie genau. Und höre von Ödipus, dem Tyrannen, von dem nicht wenige behaupten, dass seine Herrschaft heute kaum nachgelassen hat.

Es folgen von einer anderen Stimme Zitate aus Ödipus nach Hölderlin. Die Stimme des Dieners wiederum fordert dazu auf, Wege im Raum zu gehen, Gesten einzunehmen, zu summen, die Augen zu schließen, später auch Textfragmente oder Buchstabenfolgen selbst zu sprechen und so fort. Es generieren sich mit den agierenden Besuchern szenische Situationen und chorische Choreografien.

2.2 Wie der Raum des Zuschauers entsteht: Vom Ursprung des Theaters

Den Beginn des Spiels wollen wir als Anlass nehmen, anhand eines Erfahrungsprotokolls und Auszügen aus dem Skript des Hörspiels die an die Teilnehmer gerichtete Herausforderung zu beleuchten. Das spezifische dieser Versuchsanordnung ist die Abwesenheit von Schauspielern und zugleich die Aufforderung an die Zuschauer, sich vor dem Hintergrund der eingespielten Stimmen auf Zwischenspiele miteinander einzulassen. Die Aufteilung in Zuschauer- und Bühnenraum im Sinne einer klassischen Ordnung einer Theatervorführung ist damit hinfällig. Im vermeintlich leeren Raum entfalten sich alsbald verschiedene Räume: So eröffnen sich uns akustische Räume übertragen über Lautsprecher und über Kopfhörer. Sie rufen einen Spielraum zwischen den Besuchern hervor, die sich durchkreuzen, überlagern oder unterbrechen. Es gestalten sich des Weiteren Körperräume, die sich in kollektiven Bewegungen oder in Gesten mit einem jeweiligen Gegenüber zu szenischen Situationen und Zwischenspielen formen. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass mit der leiblich-körperlichen Abwesenheit der Schauspieler die Besucher radikal auf sich selbst zurückgeworfen sind. Diese radikale Abweichung von der klassischen Anordnung eines Zuschauer- und Bühnenraums findet eine Entsprechung im Text, der unsere Handlungen begleitet und eine gewisse Zäsur zum Ausdruck bringt.

Der Diener: Die Bühne ist verwaist. Alle Helden sind gegangen. Von den Göttern redet schon lange niemand mehr. Wen sollte ihr Unglück auch kümmern, heute. Und doch –               
Schauen Sie sich um: Kein Schicksal mehr. Sie sind allein miteinander, ein von Helden und Göttern verlassenes Publikum.
Chor: Was soll ich singen?

Die über Radio vorgetragenen und in Gesten umgesetzten Texte führen uns zu der Frage des Ursprungs des Theaters: der Tragödie. Schon Nancy hebt hervor, dass das Theater aus dem Kult, in seiner Gesamtheit aus dem Ereignis des Rückzugs der Götter hervorgehe (Nancy 2002, 1). In diesem Zusammenhang ist der Hinweis von Hans-Thies Lehmann interessant, der auf die wohl einzige explizit selbstreferentielle Stelle der antiken Tragödie aufmerksam macht: »Im König Oedipus fleht der Chor, er möge immer auf dem Weg der Scheu vor den Göttern bleiben, sich von Frevel nicht verführen lassen und Dike, die Göttin der Gerechtigkeit, immer achten« (Lehmann 2013, 245). Der Chor manifestiere somit die Gegenwart der Götter – ohne sie verlöre er seine Funktion. Nancy zu Folge ist in einer Welt ohne Götter das ›Eigene‹ erst anzueignen. Der Mensch müsse sich die Menschheit aneignen, die nicht gegeben sei, niemals. Das Ereignis als Aneignung beschreibt Nancy als ein »Kommen in die Gegenwart« (Nancy 2002, 1). Nancy befragt die Regeln des antiken Theaters, die aus der Tragödie hervorgehen, um sie mit der Frage nach einem zukünftigen Theater zu konfrontieren, wie sie in unserer Versuchsanordnung ebenfalls angelegt ist. Seine Überlegungen bedeuten uns, dass es keine Antworten auf die großen Fragen menschlicher Schicksale bei Göttern und Helden zu finden gibt, selbst die Schauspieler auf der Bühne entziehen sich im zeitgenössischen Theater einer Antwort; die Besucher sind selbst herausgefordert, nach Antworten zu suchen. Das Performancemodell von LIGNA übersetzt die im Text angelegte Metaphorik in Handlungsanweisungen, die an die Besucher der Performance gerichtet sind. Keine Schauspieler stehen bereit, die »Aneignung der Menschheit« (Nancy 2002, 1) anstelle des Publikums zu vollziehen. Torsten Michaelsen/LIGNA formuliert das Anliegen in einem Gespräch folgendermaßen:

Wir gehen gerade davon aus, dass es in dem Stück erstmal um die Frage nach der Bedingung des Subjekts geht, das Entscheidungen trifft und selbst an sich versucht, zu untersuchen, was sind denn solche Bedingungen dafür, dass ich solche Entscheidungen treffen kann, dass ich in unserem Fall mit Blick auf den Ödipuskonflikt ein Gewissen habe (Torsten Michaelsen anlässlich der Aufführung an der Universität Koblenz-Landau Campus Koblenz 2012).

2.3 Verantwortung/Distanznahme

Als Zeuge von Darbietungen tragen Zuschauer üblicherweise eine gewisse für die Zeit der Aufführung bestimmte Verantwortung: In unserem Falle wird diese über die Frage der bloßen Rezeption hinaus auf den Besucher übertragen: Er wird selbst wechselweise für ein Spiel mit Gesten und den Anderen oder der Beobachtung herangezogen, gleichzeitig ist er sich und Anderen ausgesetzt, ohne um einen Ausgang zu wissen.

Durch die Wiederholung der Spielsituation in einer anderen Rolle ergibt sich ein Perspektivwechsel: Im Erleben der gleichen Situation aus unterschiedlicher Perspektive bekommt das Spiel erst seine reflexive Qualität. Damit treten Fragen nach der Sinnstiftung dieser Labor-Situation auf, in der man sich bewegt. Mit der Ahnung, dass unser Spiel Teil einer Versuchsanordnung ist, in dem der Wechsel zwischen den verschiedenen Rollen als Zuschauende und als Akteure als ein durchgängiges Prinzip erhoben wird, wird die Aufmerksamkeit zunehmend auf die Wahrnehmung von Grenzsituationen gelenkt. Eine Situation aus dem Hörschaustück wollen wir genauer untersuchen.

Ein Mann kommt auf mich zu. Er fasst mich mit beiden Händen um den Hals, die Daumenkuppen liegen auf meinem Kehlkopf. Die Geste des Vatermörders. Er bekommt offenbar im gleichen Maß die Anweisung, sich gegen mich zu lehnen, wie ich die Anweisung bekomme, dem mit leichtem Druck Widerstand zu leisten. Eine dritte Person stellt sich zunächst neben uns, beobachtet uns und verfolgt unsere Bewegungen. Ich weiß nicht, was als nächstes geschieht. Nach einiger Zeit beginnen wir, uns anzulächeln, was uns keine Stimme aus dem Off sagt. Diese besondere Nähe auszuhalten erfordert deeskalierende Interventionen.

Während wir in dieser Stellung verharren, spricht die Stimme aus den Lautsprechern im Raum. Bald gibt es neue Anweisungen und mein Partner von eben und ich gehen nun alleine weiter. Ich weiß nicht, ob es ›noch schlimmer kommt‹ und bin einerseits fasziniert, fühle mich in diesem Raum geschützt, von dem ich ja weiß, dass er ein Raum des Theaters ist, ein Proberaum, ein Als-Ob-Raum. Andererseits ist diese Überschreitung der persönlichen Grenzen nie ohne Risiko. Wer steht mir gegenüber? Wer ist der Andere wirklich? Wer steht hinter mir? Wer steht neben mir? Grundfragen des Menschseins sind es, die sich mir über die angelegten Gesten vermitteln (Teilnehmende Erfahrung 2011).

Dem Protokoll können wir entnehmen, dass die Versuchsanordnung als eine Situation einer Überschreitung erfahren wird. Ein Fremder geht der Teilnehmerin überraschend an die Kehle, von dem sie nicht weiß, welche Handlungsanweisung ihm in dem Moment ins Ohr gesprochen wird und umgekehrt. Eine dritte Person, ein Zeuge des Geschehens (Seher Teiresias), ist noch im Spiel, die Bewegungen des Kampfes begleitend, ohne aber einzugreifen. Eine für die Tragödie typische Konstellation wird hier nicht von Schauspielern vorgeführt, sondern von den Besuchern ausgeführt. Eine Zäsur erfährt die Handlung durch die über Kopfhörer eingespielte Rede von Teiresias:

Und hier setzt das Theater ein. Das Theater, das heißt die unmittelbare

Willkür, die zu Akten ohne Nutzen treibt. Der Ursprung des Theaters ist eine Hand, die erhoben ist, gegen den Vater, gegen den Gott einer Szene, die der Macht der Rede und des Textes unterstellt ist.

Das Theater der einzige Ort auf der Welt, wo eine Gebärde

unwiederholbar ist. Der Vatermord hat kein Ende.

Er wiederholt sich unbegrenzt.

Wer von diesen Hunden: Kirchen, Armeen, Staaten und Theatern will

schon sterben?

(Skript LIGNA 2011)

Die Teilnehmerin beschreibt die Situation zunächst als einen unentrinnbaren Moment des Ausgesetzt-seins. Die Situation weist aber auch aus, dass sie nicht allein Ödipus, dem Vatermörder ausgesetzt ist. Unsere Besucherin erfährt die Situation in der Übernahme einer angesagten Geste als Opfer, als eine Übertragung der Fürsorge für sich und zugleich in der Verantwortung für das Spielgeschehen. In unserem Falle führt die Erfahrung die Teilnehmerin zu Überlegungen zum Theater als fiktivem Raum. In der beruhigenden Annahme, dass es sich ja ›nur‹ um ein Spiel handele, sucht unsere Teilnehmerin, Distanz herzustellen. Dieser Grundgedanke spiegelt sich auch in der Rede des Teiresias, der das Theater als einen Akt ohne Nutzen kommentiert. Gleichzeitig beschreibt sie aber auch ihre Verunsicherung, wenn sie vermutet, dass diese Überschreitung nicht ohne Risiko sei. Deeskalierende Verhaltensweisen wie ein Lächeln retten sie über die spannungsgeladene Spielsituation hinweg. Deutlich wird, dass die Versuchsanordnung erforderlich macht, Maßnahmen der Distanznahme und Nähe bzw. Einlassungen zwischen den Mitspielern erst zu finden. In der Ordnung des klassischen Theaters hingegen ist die Rolle des Zuschauers festgelegt und gibt Sicherheit.

Hans Blumenberg arbeitet in Schiffbruch mit Zuschauer die Situation des Zuschauers als Paradigma einer Daseinsmetapher anthropologisch heraus, die in der Fähigkeit des Menschen begründet ist, in der Beobachtung von Selbst und Welt Distanz – auch zu verstehen als Überlebenskunst – nehmen zu können. Er verwendet die in der Literatur und Philosophie im 19. Jahrhundert häufig angewendete Metapher des Schiffbruchs und eines am festen Ufer stehenden beobachtenden Zuschauers, um sie einem Vergleich mit der Tragödie im Theater zu unterziehen. »Wir sind nicht ohne Mitleid bei dem, was wir sehen und hören. Aber es macht uns doch angenehme Empfindungen, unser Mitleid durch die sonderbare Katastrophe aufgeregt und ins Spiel gesetzt zu sehen« (Diderot zit. nach Blumenberg 1979, 19). Kraft seines Selbstbesitzes bleibe der Zuschauer eines Schiffsbruchs unbeschadet (ebd., 20).

Gab die Existenz des Theaters nun noch den Bürgern der (antiken) polis die Gewissheit, dass sie den entscheidenden zivilisatorischen Schritt der Distanzierung getan haben und sich deshalb im Theater einer künstlichen Wiederbelebung jener längst bewältigten Mächte ohne Gefahr aussetzen können, so gibt das Theater in der Postmoderne etwas Anderes zu verstehen:

Es führt den Zuschauern vor Augen, dass sie noch gar keine Zu-schauer im eigentlichen Sinne sind, dass sie sich weithin auf die kulturell erworbene Indifferenz, die sie gegenüber den urtümlichen Drohungen auf Abstand bringt, nicht verlassen können. Nicht mehr das sinnkonstituierende Subjekt als Souverän, das sich als ein Gegenüber der Darbietung versteht, wird hier gezeichnet, sondern ein Involviert-sein, um eine ästhetische Distanznahme herausgefordert und zur harten, stetigen Arbeit am ›Zuschauer-Werden‹ verurteilt (Ellrich 2011, 191).

Die Überlegungen von Ellrich, die eher kritisch die Versuche um den neuen »emanzipierten Zuschauer« beäugen, weisen auf zwei Modi eines Weltbezugs hin: Neben dem Ausgesetztsein, dem »Zustand des Betroffenseins«, werde zugleich das Verlangen nach einer »überlebensnotwendigen Fähigkeit zur Distanznahme« ausgebildet und je nach Bedarf (kontrolliert) eingesetzt (ebd.). Räumt die klassische Theaterarchitektur noch das Recht auf ein Sehen ein, wird sie im zeitgenössischen Avantgardetheater zu einer Leistung, die jeder Einzelne erst erbringen muss (vgl. van Eikels 2013, 122). Ausgelöst durch die Anforderungen zur Distanznahme und Verantwortung für sich selbst, den Anderen und das Spielgeschehen, bilden sich – wie in unserem Falle als Grenzsituation beschrieben – neue Wahrnehmungs- und Möglichkeitsräume, die in den Grenzgängen zwischen den einzelnen Perspektiven die Möglichkeit der ›Einübung in abweichendes Verhalten‹ aufscheinen lassen.

Als Mitspieler sind wir so gesehen herausgefordert, die Situation zu befragen, »die das Theater als eine Praktik insgesamt herstellt/darstellt« (Lehmann 2013, 179). Das Theater – »dem Zwiespalt zwischen Spektakel und Didaxe« ausgesetzt (ebd., 190) – in seiner Wirksamkeit gegenüber einem bloßen Zuschauen zu behaupten, wie es im Rahmen der Öffentlichkeit von Massenmedien in der Selbstinszenierung von Privatheit und Politik zu beobachten ist, zeigt sich darin, dass Denkvorgänge nicht wie in der Philosophie beim Denken allein bleiben, sondern diese Vorgänge zur Aufführung bringen (vgl. Nancy 2008). Diese Vorgänge erst konstituieren mit Lehmann das Spezifische einer tragischen Erfahrung in der Transformation der Wahrnehmung von Schmerz und Leid, Vernichtung und Schrecken, Verlust, Verrat oder Tod. »Sie ist einerseits persönlich-individuelle Erfahrung, andererseits zu bestimmen durch ihre Verknüpfung mit einer nichtindividuell erlebten Situation […]« (Lehmann 2013, 218).

Bezugnehmend auf die die Handlungen begleitende Rede des Sehers Teiresias, die das Kommende weissagende Rede, wird von Lehmann in der Sichtweise von Hölderlin als eine Zäsur verstanden, die für die Tragödie konstituierend sei. Mit ihr vollzieht sich ein Auftritt, der in »gewisser Weise außerhalb des Konfliktgeschehens« bleibe (ebd., 199). Die von »anderswo herkommende ins Spiel hineingesprochene seherische fruchtlos warnende umsonst das Kommende weissagende Rede des Teirisias« bestimmt er als eine Zäsur des Sehens (ebd.). Er interpretiert diese als eine »schlimmere Verzweiflung als die, die den Helden befällt, eine Verzweiflung, die beim Seher als Zorn ausbricht und das Mitgefühl des Zuschauers spiegeln« solle (ebd., 200). »Der Seher, der mit Ödipus im Zorn kommuniziert, überträgt diesen Impuls zum Hinwegsetzen über gegebene Grenzen auf den Zuschauer, als Versuch zu einer affektiven Überschreitung, einem ›Überwallen‹« (ebd., 202).

 

3. Die fremde Geste – ein Bildungsprozess

Im Theater geht es grundsätzlich immer um ein Zeigen, aber auch ein Antworten, das in unterschiedlicher Weise erfolgen kann. Das Performancekollektiv LIGNA unterläuft bereits mit seiner Radioarbeit das Sender-Empfänger-Modell und setzt es in der Performancearbeit fort. Sie selbst entziehen sich als sichtbar Zeigende: Die Stimmen der Regie und der Sprecher/Schauspieler bleiben anonym. Gleichzeitig wird dem Besucher ein gesicherter Platz, wie im Theater sonst üblich, von dem aus er sich anonym in Distanz halten kann, entzogen. Den Akteuren bleibt nur, sich selbst zu entwerfen als ein Publikum, das keines mehr ist, die »Aneignung der Menschheit« (Nancy 2002, 1) selbst zu vollziehen. Der darin enthaltene reflexive Moment von Bildung entfaltet sich dabei in gewisser Weise erst im Nachhinein. Die Komplexität der Versuchsanordnung, die verschiedenen Raum-Ebenen und Perspektivwechsel zu einem kollektiven Ganzen zusammenzuführen, fordert dem Einzelnen eine ästhetische Denk-Haltung ab. Eine Teilnehmerin beschreibt es folgendermaßen:

Es war für mich interessant, zu sehen, wann ich den gesprochenen Text wahrgenommen habe, wann ich mir und wann ich dem Gegenüber ganz nah war. Dabei spielten ganz viele unterschiedliche körperliche Positionen und emotionale Zustände neben der Textebene eine Rolle. Ein Eindruck des Textes vermittelte sich mir, indem sich das Gehörte mit der Erfahrung von Körperlichkeit vermischte. So stellte sich eine sehr gute Nähe zum Text auf eine ganz andere Art und Weise ein, als wenn ich etwas im bloßen Zuschauen erfahre. Es entstanden in mir wirklich Bilder (Teilnehmerin der Talkart 2012 Koblenz).

Deutlich wird, dass die hier erfahrenen Grenzgänge zu anderen als den gewohnten Aufmerksamkeiten herausfordern: In den Begegnungen erfahren sich die Beteiligten als Mit-Spieler, als temporäre Gemeinschaft, im Sinne von Nancy als ›Menschen an sich‹. Das ›Werden des Publikums‹ vollzieht sich mittels einer gestischen Inszenierung, der ein wichtiger bildender Aspekt durch die Gestaltung einer potentiell und strukturell angelegten Erweiterung der Teilhabe des Zuschauers inhärent ist: Der Besucher wird zunächst in die Position versetzt, die in der Regel ein Schauspieler besetzt. Über das Anlegen einer fremden Geste setzt er sich den anderen Besuchern, die das Gleiche tun, aus.5 Die Anweisungen hierzu erfolgen durch eine anonyme Stimme aus dem Off, die die Rolle eines instruierenden Regisseurs einnimmt, der aber nicht sieht, wie die Anweisung ausgeführt wird; die Ausführung bleibt den Mitspielenden überlassen. Die ebenfalls anonym eingesetzten Stimmen, die den dramatischen Text durch die Kopfhörer vermittelt sprechen, erfahren auf diese Weise eine Umsetzung in Stimme, Geste, Haltung, Blick und Bewegung. In dieser Situation, dem Wechselspiel aus Verantwortung, Einlassung und Distanznahme, entsteht nun ein Möglichkeitsraum für den Besucher, sich über die gewohnte Rolle hinausgehend als teilnehmender Mitspieler zu erproben. Vor dem Hintergrund der einerseits strukturierten Vorgaben und Instruktionen wird dem Besucher andererseits ein gesicherter Platz in einem dunklen Zuschauerraum, von dem aus er sich anonym in Distanz halten kann, entzogen. Hier nun ist er herausgefordert, sich ohne eine feste Position gegenüber den anderen Teilnehmern in wechselnden Räumen zu bewegen und aktiv eine Haltung/Position einzunehmen. Ein zweites Erfahrungsprotokoll führt uns dahingehend die Perspektive des Gegenspielers der Teilnehmerin der ersten teilnehmenden Erfahrung (s.o.) auf:

Die Performance hat es relativ schnell geschafft, dass ich gehorsam war. Da waren ganz einfache Anweisungen, die man mit Anderen ausgeführt hat, die uns dazu gebracht haben, z. B. die Hand um den Hals des Gegenübers zu legen. Als dann kam ›Drücken Sie jetzt fester zu‹, war’s bei mir aus! ›Nee, das mach ich nicht!‹ und damit war ich ganz stark herausgefordert, selbst zu entscheiden, was ich mitmache und was nicht (Teilnehmende Erfahrung anlässlich der Aufführung an der Universität Koblenz 2012).

Die Beschreibung zeigt uns auf, wie unser Teilnehmer an eine – auch ethisch zu nennende – Grenze stößt. Die Aufforderung, zuzudrücken, löst Widerstand aus und veranlasst unseren Teilnehmer, die Spielregel zu überdenken und sich herauszunehmen: auch nicht mitzuspielen. Er ist gefordert, seine Grenze bei der Umsetzung der Instruktion durch den Apparat selbst zu finden. Erhellend ist in unserem Zusammenhang der Hinweis von Warstat auf die Ambiguität der Metaphorik von Grenzen. Viele Grenzen werden überhaupt erst dadurch erfahrbar, dass man sie überschreitet. Umgekehrt könne es nur dort zu Überschreitungen kommen, wo auch Grenzen wahrgenommen werden (vgl. Warstat 2007, 188).

Was geschieht nun im Überschreiten der Grenze? Was zeigen die Akteure anstatt der Schauspieler? Sind sie tatsächlich ›nur‹ über das Anlegen der fremden Gesten zu Ver-körperungen der Anordnungen geworden? Der Blick auf die Gesten erlaubt es, die Grenzüberschreitung genauer zu fokussieren.

Nach Merleau-Ponty eröffnet der Blick des Zuschauers auf den Schauspieler viele Möglichkeiten: »Was ich als den Leib des Andern zu betrachten beginne, ist eine Möglichkeit von Bewegungen für mich« (Merleau-Ponty 1994, 437). Ist der Zuschauer im Theater in der Wahrnehmung sowohl beim Anderen als auch bei sich, so vervielfältigen sich die Möglichkeitsräume in dieser Spielanordnung ins Imaginäre ebenso wie in einem konkreten Handlungs- und Wahrnehmungsraum: »Abweichendes Verhalten muss geübt sein« (Sturm 2009,  96) bzw. im Anlegen der fremden Geste und im Wechsel der Perspektiven als Zeuge, Täter oder Opfer werden die Akteure zu Betrachtern der Situation, ihrer selbst und der Anderen. Nichts wird gezeigt, das nicht von den Zuschauern selbst gesehen werden wollte. In dieser durch die Geste verkörperten Handlungsoption ist kein Sinn inhärent. Die »Realisierung und Verwirklichung der Bedeutung selbst« (Merleau-Ponty 1966, 217) findet im Wechsel der Körpergesten und der damit eingenommenen unterschiedlichen Perspektiven statt. Im Wechsel der Perspektiven ist in der Vorgehensweise von LIGNA angelegt, dass der einzelne Teilnehmer aus der Involviertheit wiederum in eine Distanz gebracht wird, sie ihn also mit Lehmann zu einem »exvolvierten Zuschauer« (Lehmann 2013, 552) macht und er damit erst zur Reflexion, einer Antwort herausgefordert ist. Ob der Zuschauer die eingenommene Geste bereits als eine eigene Handlungsoption versteht, sei dahingestellt. LIGNA stellt in der Versuchsanordnung vermittelt durch einen Apparat ein Manual an Gesten bereit und eröffnet damit die Perspektive auf einen möglichen Moment von Bildung: die Erfahrung der Grenzüberschreitung, sich in einer Situation als handlungs- oder ohnmächtig zu erleben, fordert auf, ›Befreiungsphantasien‹ zu entwickeln.

 

Literatur

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Westphal, Kristin 2013: Geschehen lassen. Herausforderungen neuerer Produktions- und Rezeptionsweisen in den performativen Künsten. In: Almut-Barbara Renger/Christoph Wulf (Hg.): Paragrana. Meditation in Religion, Therapie, Ästhetik, Bildung. Berlin: Akademie, 201-212.

Westphal, Kristin 2014a: Fremdes in Bildung und Theater/Kunst. In: Patrick Primavesi/Jan Deck (Hg.): Stop Teaching! Neue Theaterformen mit Kindern und Jugendlichen. Bielefeld: transcript, 125-138.

Westphal, Kristin 2014b: Eine Grenzerfahrung am Beispiel LIGNA: Oedipus der Tyrann. Eine Befreiungsphantasie. In: Malte Brinkmann/dies. (Hg.): Grenzerfahrungen. Phänomenologie und Anthropologie pädagogischer Räume. Weinheim. Basel: Beltz Juventa, 199-216.

Westphal, Kristin/Zirfas, Jörg 2014: Kulturelle Bildung als Antwortgeschehen in phänomenologischer Perspektive. In: Eckart Liebau/Benjamin Jörissen/Leopold Klepacki (Hg.): Forschung zur Kulturellen Bildung – Grundlagenreflexionen und empirische Befunde. München: kopäed, 55-67.

Westphal, Kristin 2015a: Das Theater als Ort der Selbstermächtigung. Am Beispiel von Gob Squad: Before your very Eyes. In: Wolf-Andreas Liebert/dies. (Hg.): Performances der Selbstermächtigung. Reihe Pädagogik. Athena Verlag: Oberhausen, 163-184.

Westphal, Kristin 2015b: Stimmereignisse. Zur Wahrnehmung der Stimme in den Medien/Künsten. In:  Francesca Vidal/Arne Scheuermann (Hg.): Handbuch Medienrhetorik. Reihe Handbücher zur Rhetorik. Berlin: De Gruyter, 151-168.

Westphal, Kristin 2015c: Mediale Erfahrungen. Stimmen aus dem OFF hören. In: Torsten Meyer/Benjamin Jörissen (Hg.): Subjekt. Medium. Bildung. Wiesbaden: VS Verlag, 133-148.

Westphal, Kristin 2018: Unterbrechungen. Verrückungen. Teilhabe und Kritik als ästhetische Praxis in Theater und Schule. In: Birgit Engel/Helga Peskoller/dies./Katja Böhme/Simone Kosica (Hg.): räumen – Raumwissen in Natur, Kunst, Architektur und Bildung. Weinheim. Basel: Beltz Juventa, 111-124.

Westphal, Kristin. 2019: Weitergeben. Theaterarbeit mit Kindern für Erwachsene. Milo Rau: Five Easy Pieces. In: Hentschel, Ingrid (Hg.): Theater als Tausch und Gabe. Gabentheoretische Perspektiven. Bielefeld, 189-209.

 


1 Der Beitrag geht hervor aus einem Vortrag anlässlich einer AG zusammen mit Malte Brinkmann am Kongress DGfE zum Thema Erziehungswissenschaftliche Grenzgänge (Westphal 2014).

2 Vgl. zur Auslegung von Sartre: Westphal 2011, 145f.

3 Eine grundlegende Theorie zur tragischen Erfahrung als ein Fall der ästhetischen Erfahrung erarbeitet Hans-Thies Lehmann in einem umfassenden Werk (2013, 146f. und 183f.). Das Anliegen der Studie ist, die »theatrale Dimension in die Diskussion der Tragödie zurückzuholen und sogar als ihr zentrales Element« auszuweisen (ebd., 15). Diese zeichnet sich in den Diskursen zur Tragödie vornehmlich durch eine Schieflage aus, insofern die Reduktion der Tragödie auf Literatur die Bedeutsamkeit der Aufführung, in der Text, Raum und Körper erst zusammengehen, vernachlässigen oder marginalisieren.

4 Responsivität ist ein Begriff, den Bernhard Waldenfels für diesen Zusammenhang geprägt hat. Er hat ihn von Kurt Goldstein (1934), einem Neurologen und Psychiater, entlehnt, der im Falle einer Krankheit von einer mangelnden Antwortfähigkeit und -bereitschaft spricht (vgl. Waldenfels 1994, 458). Das Paradigma der Responsivität ist als Kritik gegenüber dem des kausalen Reiz-Reaktion-Schemas des Behaviorismus zu lesen. Waldenfels beschreibt mit Responsivität ein Verhalten, das inter-subjektiv und kontextuell generiert wird, d.h. in der Vermittlung von eigenen und fremden, konkret situativen Ansprüchen entsteht (vgl. ebd.). Vgl. auch die Beschreibung von Grenzerfahrungen, wie sie durch die Medien in der Trennung von Stimme und Körper mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgt sind (Westphal 2002, 2015b und 2015c).

5 Vgl. meine Überlegungen zu Fremderfahrungen in Bildung und Theater/Kunst (Westphal 2014 a).